Dienstag, 20. März 2012

Franzi entdeckt Bieleweld...

Wir haben uns mit Franzi auf den Weg gemacht, die Stadt mit Kinderaugen zu sehen. Ergebnis sind fünf spannende Orte, die ein Muss für Kids in Bielefeld sind.
Name: Franziska
Meckelmann, 10 Jahre
Schule: Grundschule Heeperholz
4. Klasse
Hobbys: Handball, Gitarre, Taekwondo,
Schwimmen
Lieblingsevent in Bielefeld: Wackelpeter (Anm.
d. Red.: Großes Kinder- und Familienfest am
Ende der Sommerferien im Ravensberger
Park)
Lieblingstier: Tapir, Hund
m kostenlosen
Heimat-Tierpark Olderdissen
kannst du die vielen Tiere bei jedem
Wetter rund um die Uhr besuchen. Ein
Streichelzoo, ein großer Spielplatz, gemütliche
Gastronomie und Tiere von kleinen
Mäusen bis hin zu den großen Braunbären Max
und Jule - dass alles bietet dir dieses Freizeitvergnügen.
Ein besonderes Highlight ist auch
das neue Wolfsgehege, wo du die Wölfe in
freier Natur erleben kannst.


Franzis Fazit:
„Auf alle Fälle ein
tolles Erlebnis. Meiner
Meinung nach spannender
als ein Zoo, da man auch
Tiere sieht, die hier
zuhause sind.“
Franzi auf dem
Spielplatz im Tierpark
Olderdissen


Im Namu findest
du nicht nur spannende
Ausstellungen. Jeden zweiten
Sonntag im Monat steht
ein spezieller Kindertag auf dem
Programm. Auch Familientage
und Ferienangebote für dich
und deine Freunde dürfen
nicht fehlen.
Franzis Fazit:
„Hier kann man tolle
Dinge über die Natur
erfahren und spannende
Geburtstage
feiern.“

Du
hast die Möglichkeit,
deine Kreativität
in der Kunsthalle
Bielefeld zu entfalten. Spezielle
Familien- und Kinderangebote
machen das möglich und
zeigen, dass Kunst nicht nur
etwas für Erwachsene ist,
sondern auch Kinder
Spaß macht.
Franzis Fazit: „Tolle
Aktionen für Kinder und
Erwachsene, bei denen
jeder seine Inspirationen
miteinbringen kann.“



Das Ishara ist
das größte Erlebnisund
Sportbad der Stadt und
garantiert dir Spaß und Action.
Von rasanten Rutschen, über
ein großes Spielschiff bis hin zu
einem wilden Strömungskanal – da
kommt keine Langeweile auf
Franzis Fazit:
„Es ist toll, dass
für jeden was dabei ist,
während ich mit meinen
Freunden spiele, können
auch meine Eltern entspannen.

Gedankenleser oder über den Versuch, nachträglich klüger zu werden

Synaps ist Synaps, und Dienst ist Dienst - dieses alte Sprichwort trifft auf die Spezies der Hirnforscher
nun gar nicht zu. Synaps ist Dienst bei dieser Art von Wissenschaftlern - und der Dienst an den Synapsen
geht mittlerweile so weit, dass Otto Normalhirni demnächst wahrscheinlich nicht mehr selber denken
muss. Der Hirnforscher nämlich kann Gedankenlesen. Wofür Hexen in der frühen Neuzeit verbrannt
wurden (auch weil die Universitätsabteilungen der Neuroethiker damals wegen fehlenden Bafögs
personell noch sehr dünn ausgestattet waren), bringt heute wissenschaftlichen Ruhm und intersubjektiv
transmissible Ehre, wie wir Anhänger der Elektrostimulation kortikaler Areale vor uns hinsäuseln. Aber
das nur am Rande.

Hirnforscher zapfen also das Hirn an und können mittlerweile feststellen, was der Hirneigentümer so denkt - noch bevor der Hirneigentümer selber weiß, was er denkt. Das funktioniert jetzt aber nicht etwa so, dass studentische Hilfskräfte die 15 Milliarden Nervenzellen im Hirn von Hand durchzählen und protokollieren, was diese so tun - und sich hinterher beklagen, ihr Studium dauere so lange. Keine Bange! Die Aktivität der Neuronen wird von Magnetresonanztomografen aufgezeichnet und von Computern ausgemessen. Das mechanische Gedankenlesen geht deshalb unter dem Stichwort „Neuronenbombe“ in die Wissenschaftsgeschichte ein. Aber das nur am Rande. Denn eigentlich geht es doch darum, den Wunsch eines anonym bleibend wollenden Ex-FHM-Studierenden mal öffentlich in die Runde zu werfen, der vor Beendigung seines Studiums im Vertrauen meinte: Hätte ich doch lieber Architektur studiert.

Ja, Architekten. Wenn man abends aus dem Fenster auf die graue Wand gegenüber schaut und über sein grauenhaft graues Dasein nachdenkt, kann es passieren, dass ein stilvoller Herr sein schwarzes Cabrio vor dem Altbau nebenan parkt und mit einer unfassbar intelligenten und attraktiven Frau im Hauseingang verschwindet. Kurze Zeit später geht das Licht in der beneidenswert geschmackvoll eingerichteten, vollverglasten Dachwohnung an. Ein Architekt, denkt man, bestimmt ein Architekt. Architekt müsste man sein. Was Architekten alles können! Beim Italiener einen Flughafen auf die Serviette kritzeln, zwanzig Millionen Honorar dafür kassieren und mit dem Porsche nach Cannes donnern, wo die Segelyacht liegt, auf der lolloförmig die Freundin liegt. Das können Architekten. Architekten behaupten allerdings, alles sei gar nicht so. Und dass sie arme Designerwürstchen seien, unglücklich bis in beide Zipfel. Sagen, sie bekämen keine Aufträge, nur Magengeschwüre, und am Ende falle ihnen beim nächtlichen Plänezeichnen die Netzhaut
ab, wie es Le Corbusier passiert ist. Außerdem möge sie keiner. „Alles Schwachköpfe“, sagte Flaubert über die Architekten, „vergessen immer die Treppen. “ Trotzdem: Von Bravo nach Traumberufen befragt, antworteten die meisten Jugendlichen „Journalist“, hihi, dann aber gleich „Architekt“. Weit abgeschlagen Ärzte, Börsenmakler, Künstler. Klar: Ärzte gelten als gute Menschen, müssen aber jeden Tag jammernde Leute abtasten und ein Leben in weiß gekachelten Korridoren führen. Börsenmakler verdienen einen Haufen Geld, aber das Image ist einfach vollkommen zerstört. Künstler suchen im Schlamm der Ölfarben sich selbst, sind aber bitterarm, immer verkannt. Will man so leben? Der Architekt verbindet Moral und Moneten, Business und Bohème, ist reich wie ein Broker, kreativ wie ein Künstler, wohltätig wie ein Arzt.

Stars werden neidisch, wenn sie Architekten sehen. Brad Pitt erklärte jüngst, er wolle Landschaftsarchitekt werden, plane eine ganze Siedlung. Bretter-Pitt, der Betonbeau! Angeblich steht die Siedlung bereits. Was will er? Ein Leben führen wie Lothar Matthäus, dem gelernten Raumausstatter, dessen unvergessliche Aussage: „Das wäre dann so in Richtung Innenarchitekt weitergegangen“ eine ganze Branche in Aufwallung gebracht hat? Hmm. Will man wirklich Architekt sein? Nicht doch lieber Prinz? Star? Ach. Hauptsache Milliardär.

Dass Lothar Matthäus („Die Schuhe müssen immer zum Gürtel passen!“) sich in sachter Regelmäßigkeit mit blutjunge Damen vermählt, ist bekannt. Dass er jetzt schon wieder durch die Trennung von seiner jüngsten Ehefrau auffällig wird, wundert einen deshalb nur bedingt. Lothar Matthäus sagt: „Ich brauche noch einige Zeit, um nachzudenken.“ Das ist ein Problem. So viel Zeit haben wir nicht. Zitieren wir deshalb schnell die frühere RTL-Sexpertin Erika Berger, auch schon über 70, die Lothar Matthäus im Küchenpsychologie-
Fachblatt „Das Neue“ folgende Standpauke gehalten hat: „Überlegen Sie, was Sie wirklich wollen. Sie sollten ein Mann mit Verstand werden.“ Geht das? Nachträglich? Okay, man hat ja jetzt auch festgestellt, dass die Strahlung von Mobiltelefonen Mäuse vor Alzheimer schützen und sogar nachträglich heilen können. Und ein Lothar Matthäus telefoniert ja ständig mobil. Vielleicht sind seine Mäuse deshalb nach einiger Zeit immer so nachdenklich geworden. Vielleicht wollten sie sich deshalb auch immer gleich scheiden
lassen. Vor einiger Zeit gab es tatsächlich Menschen in Bielefeld, die ernsthaft erwogen haben, Lothar Matthäus als Trainer bei der Arminia zu installieren. Gott sei Dank, dass dieser Kelch an OWL vorbeizog

Interessant wäre jetzt zu erfahren, ob irgendein Magnetresonanztomograf dieser Erde schon weiß, was der
Schreiber dieser Zeilen noch nicht weiß: wie nämlich diese Glosse enden soll. Einfach so? Ohne Schlusspointe? Das wäre dann ein Fall für die Neuroethiker. Oder für den Presserat? Der Autor könnte auch mal aus Erfahrung nachträglich klüger werden.

mb

Planet Bielefeld

Eine Reise ins Ungewisse. 24 Stunden in der Stadt, vor der ganz Deutschland zittert.

Mit dieser Einstellung steh ich bestimmt nicht alleine da. Viele haben sich schon gefragt, ob Bielefeld nur ein Punkt auf der Landkarte ist, wo komplette Einöde herrscht. Das Bermuda-Dreieck Deutschlands! Die Reise nach Bielefeld lässt mich voller Erwartungen hoffen, was ich gleich zu Gesicht bekomme. Wie sehen dort die Menschen aus? Gibt es dort überhaupt Menschen? Wohnen diese in normalen Häusern? Fragen über Fragen sammeln sich in meinem Kopf. Die einstündige ICE Fahrt von Hannover nach Bielefeld gestaltet sich eher unspektakulär. Nein, ich möchte keinen Kaffee sondern meine Ruhe und nein, neben mir ist auch kein Sitzplatz frei. Schließlich muss ich mich auf Bielefeld vorbereiten und kann keine Ablenkung gebrauchen.

9:10 Uhr Menschen stehen in hektischen Bewegungen auf und gehen Richtung Tür. Mein Blick aus dem ICE-Fenster verrät mir jedoch, dass wir mitten in der Pampa sind und nicht mal ein Bruchteil eines Gebäudes zu sehen ist. Mich durchschießen sofort Gedanken wie: Ist Bielefeld eigentlich
nur Feld, hält der ICE überhaupt an oder muss man bei verminderter Fahrt aus dem Zug springen? Minuten der Angst überkommen mich, ist Bielefeld wie ein schwarzes Loch und lässt einen nicht
mehr heraus? Sollte ich mich noch schnell von Freunden auf Facebook verabschieden und mein Testament kurz posten?

9:19 Uhr Eine Stimme erklingt: „In wenigen Minuten erreichen Sie Bielefeld Hauptbahnhof “. Die angekündigten wenigen Minuten stellten sich als 30 Sekunden heraus. Mit Mühe und Not schaffe ich es, meine Jacke anzuziehen und den hereinströmenden Menschen auszuweichen, um meinen Fuß auf Bielefelder Boden abzustellen. Mein Blick wandert zu der Bahnhofs-Anzeige, um mich noch einmal zu vergewissern, wo ich mich gerade befinde. Und tatsächlich, ich bin in Bielefeld. In Trance wandert mein Blick über die Gleise, sieht eigentlich alles ziemlich normal aus. Nur das arabische Hallenbad neben dem Bahnhof scheint ein
wenig deplatziert. So weit so gut. Die Bielefelder Innenstadt stellt sich als klein, aber gut erreichbar dar. Die Menschen, die durch die Straßen wandern sehen normal und nett aus. Im Gespräch mit einem Bielefelder,
was das Tollste an der Stadt ist, stellt man schnell fest, dass Dr. Oetker auf Platz eins liegt. Dieses internationale Unternehmen verschafft Bielefeld den vermissten Glamour. Geht es um die Architektur so besteht Bielefeld aus Plattenbauten der 70er Jahre, die ihre besten Tage schon lange hinter sich haben.
Den meisten Bielefeldern ist dieses zwar bewusst, aber darauf wird kein großer Wert gelegt.
Ein Bielefelder muss immer wieder betonen, dass Bielefeld zu dem Region OWL gehört. Das macht es zwar für einen Außenstehenden nicht besser, aber anscheinend ist es für einen Bielefelder weltbewegend.
Neben diesen Attributen ist Bielefeld stolz auf seine Sparrenburg, welche so hoch gelegen ist, dass man nach dem Erklingen des Berges ein Sauerstoffzelt braucht. Und der Teutoburger Wald der die Stadt in zwei teilt. Na Mensch. So ein Wald ist schon toll. Jedoch muss man Bielefeld in vielen Sachen loben. Der sogenannte
Kaffee-Strich hat mir den besten Kakao meines Lebens beschert und auch die kulinarische Seite Bielefelds ist sehr lecker. Natürlich muss man Bielefeld auch ein paar Geschmacksverirrungen zugute kommen lassen.

Der sogenannte Pickert stellt auf dem ersten Blick eine Dschungelprüfung dar, jedoch ist dieser sehr wohlschmeckend. Das Bielefelder Nachtleben kann mit Metropolen durchaus mithalten und das
feierwütige Partyvolk kann dazu vieles beitragen. Weggehen in Bielefeld: Ein großes Muss.
Nach insgesamt 24 Stunden verlasse ich Bielefeld und kann schlussendlich sagen. Ja, es gibt Bielefeld und ja, es lohnt sich auch, Bielefeld kennenzulernen. Denn den Höhepunkt überhaupt entdeckt man
direkt am Bahnhof, der junge Herr der die Durchsagen macht hat nicht nur eine außergewöhnliche prägnante Stimme, sondern er sorgt auch dafür, dass man auch bei langen Verspätungen ein Lächeln auf
den Lippen hat. Als ich Bielefeld verlassen will, erklingt seine Stimme um mir mitzuteilen, das
mein ICE wenige Minuten später eintreffen wird, im Hintergrund ist ein jaulender Hund zu hören. Nachdem der Standardsatz für allgemeine Verspätungen erklungen ist, hört man den Hund weiterwinseln,
worauf der Schaffner mit einem stöhnenden „Oh ja, mach weiter“ reagiert. Der ganze Bahnhof erbebt durch
eine Welle des Lachens. Bielefeld ist skurril und ein Mythos und vielleicht auch ein Fall für X-Factor: das
Unfassbare, aber es ist auch bodenständig sympathisch und lieber außergewöhnlich als langweilig. Und langweilig ist Bielefeld bestimmt nicht!

jb
kulturschock.bieleweld.de

Sonntag, 18. März 2012

Der Pickert - Ein Ostwestfälischer Hochgenuss

Der eine oder andere Leser mag sich jetzt fragen, wer oder was ist ein Pickert? Auf der Suche nach Antworten hat sich der Autor dieser Zeilen auf Schatzsuche begeben. Denn als ein regionaler Schatz wird der Pickert von seinen Kennern gepriesen. Fündig wurde ich schließlich im Seekrug am Bielefelder Obersee, einem Restaurant untergebracht in einem wunderschönen, renovierten Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert, das tief verwurzelt mit der Region ist.

Vor vierzehn Jahren entstand dann die Idee den Pickert als regionale Spezialität anzubieten. Doch was ist eigentlich ein Pickert? Heiß dampfend wird eine gold-braune, Pfannkuchen ähnliche Speise serviert. Ich habe mich für die Variante mit Speck entschieden, obwohl mir die Wahl schwer gefallen ist. Denn laut der Speisekarte gibt es unzählige Möglichkeiten einen Pickert zu essen. Die Varianten reichen von dem einfachen Pickert mit Rübenkraut und Butter bis hin zum Westfälischen Pickert Tapas Teller. Es gibt sogar unterschiedliche Teigsorten. Vor mir auf dem Teller liegt ein Lappenpickert mit Speck. Das Grundrezept basiert auf Kartoffeln, Milch, Eiern, Mehl, Salz und Zucker.
Der erste Biss in den Pickert bewahrheitet, was der Geruch schon versprochen hat. Ein runder, voller, ausgeglichener Geschmack mit einer herzhaften Note. Vergnüglich schiebe ich mir direkt die nächste Gabel in den Mund. Auf den Geschmack gekommen und in Probierlaune bestelle ichmmir noch einen Pickert, diesmal einen Lippischen Pickert mit Marmelade. Serviert wird ebenfalls eine Pfannkuchen ähnliche Speise, allerdings ist dieser Pickert deutlich dicker und fluffiger. Auf Nachfrage erklärt sich auch der Unterschied zwischen dem Lappen- und dem Lippischen Pickert: der Lippische Pickert wird mit Hefe gebacken, im Gegensatz dazu wird der Lappen Pickert mit Backpulver hergestellt. Deutlich bei beiden Varianten wird, dass der Pickert ein vielschichtiges Gericht ist. Ob nun süß oder herzhaft, deftig, dem Vorstellungsvermögen
sind keine Grenzen gesetzt. 

Der ganz traditionelle Pickert wird mit Butter bestrichen, worauf Leberwurst kommt und das Ganze mit
Zuckerrübensirup gekrönt wird. Dazu wurde früher entweder Dunkelbier oder Malzkaffee getrunken. Ursprünglich war der Pickert ein „arme-Leute-Essen“. Die ortsansässigen Unternehmen haben früher
sogar vertraglich festgehalten, dass es mindestens eine Pickert- Speise pro Woche für ihre Arbeiter gibt.
So hat sich der Pickert fest in der Region verwurzelt und ist ein Teil der ostwestfälischen Esskultur geworden.






Mittlerweile gut gesättigt bin ich froh darüber auf Schatzsuche gegangen zu sein, denn eins steht für mich fest: der Pickert ist ein ostwestfälischer Hochgenuss und der Seekrug bietet neben dem kulinarischen Vergnügen ein wunderschönes Ambiente, um diesen zu genießen.





cb, sp, ct, aw

Der Intendant des Bielefelder Stadttheaters Michael Heicks im exklusiven Gespräch

Bieleweld: Sie kennen das Bielefelder Theater seit über 10 Jahren. Was war das spannendste Erlebnis, das Sie am Haus oder in der Stadt hatten?
Heicks: Die Wiedereröffnung des Stadttheaters nach dem Umbau. Und am gleichen Tag gewann Arminia Bielefeld zuhause gegen Bayern München!


Bieleweld: Was haben Sie gemacht, bevor Sie zum Bielefelder Stadttheater gekommen sind? Wer oder was hat Sie zum Theater geführt?
Heicks: Zwei Fragen, eine Antwort: Die Regie. Etwas detaillierter heißt das: Studium Schauspiel, später Regie an der Otto-Falckenberg-Schule München. Erste Regiearbeiten in München und Salzburg, vier Jahre Assistent von Jürgen Flimm in Hamburg. Stationen als freier Regisseur waren u.a. Göttingen, Basel, Theater am Neumarkt Zürich, Thalia Theater Hamburg.

Bieleweld: Was mögen Sie an Ihrem Job am meisten?
Heicks: Inszenieren.

Bieleweld: Was finden Sie am nervigsten?
Heicks: Rechnen.

Bieleweld: Was mögen Sie an Bielefelder und Bielefeld am meisten? Was geht Ihnen immer noch auf die Nerven?
Heicks: Bielefeld – die kleine Großstadt. –- Dass es keinen Fluss gibt.

Bieleweld: Können Sie schon verraten, was Bielefeld in der nächsten Spielzeit erwarten kann?
Heicks: Erfolg! - Was sich dahinter verbirgt? Nun, seit dieser Woche ist der Spielplan 2012/2013 offiziell (in
der Presse und auf unserer Internetseite zu entdecken). Und natürlich dürfen die Bielefelder sich wieder auf ein spannendes Programm aller Sparten freuen!

Bieleweld: Gab es eine Lieblingsspielzeit am Bielefelder Haus?
Heicks: Die Eröffnungsspielzeit war schon etwas Besonderes!

Bieleweld: Sie haben gerade Ihren Vertrag verlängert und sind jetzt mindestens bis 2017 in Bielefeld. Wollen Sie die Stadt noch einmal verlassen oder können Sie sich vorstellen, in Ostwestfalen alt zu werden?
Heicks: Das werden wir mal sehen…


jb,cb,bs, jw

Dienstag, 13. März 2012

„Wir sind nicht das Bayern München der 3. Liga!“

Geschäftsführer Marcus Uhlig blickt im BIELEWELD-Gespräch in die Zukunft der Arminia
Zur Person: Marcus Uhlig, geboren am 22.02.1971 in Kamp- Lintfort. Als Gründer und Leiter der PR-Agentur medienbüro
24/7 war der studierte Jurist bereits als externer Dienstleister (u.a. das Stadionmagazin HALBVIER) für die Arminia tätig.
Im August 2009 übernahm Uhlig das Amt des Pressesprechers, im Mai 2011 das des Teammanagers beim DSC und                                                     seit September 2011 ist er der neue Geschäftsführer des Klubs.
Gerade einmal drei Jahre ist es her, da spielte der DSC Arminia Bielefeld in der heimischen SchücoArena noch gegen Mannschaften wie Bayern München oder Borussia Dortmund. Doch nach dem Abstieg aus der Bundesliga im Jahre 2009 durchlebte der ostwestfälische Traditionsklub schwierige Zeiten. Bereits in der zweiten Zweitliga-Saison folgte der bittere Gang in die Drittklassigkeit. Neben der sportlichen Talfahrt fand speziell die finanzielle Lage immer wieder ihren Weg in die Schlagzeilen. Nur äußerst knapp konnte die Insolvenz und das damit wohl gleichzeitig besiegelte Ende des Vereins verhindert werden. Nach hektischen Jahren, geprägt von Skandalen, personellen Umbrüchen und finanzieller Not, blickt man nun wieder positiv in Richtung Zukunft. Auch sportlich hat sich das Team, nach katastrophalem Saisonstart (bis zum 16. Spieltag stand man auf einem Abstiegsplatz), gefangen. Derzeit steht man in der 3. Liga auf einem gesicherten Mittelfeldplatz. Zudem erteilte die Deutsche Fußball Liga (DFL) den Bielefeldern gerade erst die Lizenz bis zum Ende der laufenden Spielzeit. Wir sprachen mit dem neuen Geschäftsführer
Marcus Uhlig über die Ziele und Wünsche des DSC sowie seinen persönlichen Werdegang während der vergangenen Monate.

Arminia Bielefeld hat turbulente Zeiten hinter sich. Derzeit scheint der Verein aber zur Ruhe gefunden zu haben. Stimmt diese Beobachtung und wie sieht die aktuelle Situation konkret
aus – sowohl sportlich als auch finanziell?
Uhlig: Arminia Bielefeld hat in der Tat zur Ruhe gefunden, das stimmt. Ich denke, dass die Häufigkeit der negativen Schlagzeilen zunächst mal vorbei ist. Parallel dazu ist sicherlich eine Verbesserung der sportlichen Situation eingetreten. Nur diese Tatsache heißt ja nicht automatisch, dass wir alle Probleme beseitigt haben. Wir befinden uns nach wie vor in einer wirtschaftlich schwierigen Situation. Doch ich glaube mit insgesamt mehr Frieden rund um den Verein lassen sich diese Probleme einfacher bearbeiten.

Welche konkreten Maßnahmen – gerade finanziell – sind da noch zu leisten?
Uhlig: (lacht) Ich glaube die alle aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Interviews deutlich sprengen. Wir
befinden uns mitten im absoluten Konsolidierungskurs. Da ist noch jede Menge zu erledigen. Zum Beispiel gilt es nach wie vor die Stadiongesellschaft, die wir gegründet haben, zu aktivieren und so auf den Weg zu bringen, dass sie funktioniert. 

Wo steht Arminia Bielefeld also im Jahre 2012?
Uhlig: Die Wahrnehmung vieler Menschen ist ja immer noch: Arminia Bielefeld der große Verein, da muss
doch Geld vorhanden sein oder locker gemacht werden können, um mal wieder anzugreifen. Doch diese Leute gehen von falschen Vorraussetzungen aus. Insbesondere die letzten zweieinhalb Jahre waren ein absoluter Tanz auf der Rasierklinge. Wir sind nicht das Bayern München der 3. Liga, ganz und gar nicht. Wir sind dem Tod in der jüngsten Vergangenheit mehrfach nur knapp von der Schippe gesprungen. Wir versuchen hier mit einem sehr kleinen Team den Verein einerseits wirtschaftlich zu festigen, ihm andererseits aber auch eine vernünftige, sportliche Perspektive zu geben. Das dauert aber. Es gibt nun mal kein Naturgesetz, nach dem wir in der neuen Saison automatisch Aufstiegsfavorit werden.

Als Außenstehender bekommt man auch den Eindruck, dass der Verein gewillt ist Dinge zu ändern, die lange schlecht gelaufen sind und in die Zukunft zu schauen.
Uhlig: Aber das ist nicht so einfach, weil da natürlich auch unterschiedlichen Interessen zu beachten sind. Bei
Arminia Bielefeld wird sich aber auch in der nahen Zukunft noch mal einiges ändern. Wir müssen uns insgesamt neu aufstellen. Die nächsten Jahre werden ganz harte Arbeit. Und die schaffen wir auch nicht alleine. Wenn die Region möchte, dass Arminia wieder das Aushängeschild wird, dann brauchen wir
die Unterstützung von allen. Nur so hat Arminia eine Chance zu überleben.



Was muss demnach passieren?
Uhlig: Wir müssen aufhören immer wieder negativ zurückzuschauen und anzuführen, was alles schlecht gelaufen ist. Das mache ich auch nicht. Ich finde, an manchen Stellen muss einfach ein Schlussstrich gezogen und nach vorne geschaut werden. Aber noch mal, es reicht nicht, wenn nur wir alleine das tun. Da müssen alle mithelfen! 

Nun zum Sportlichen. Wo soll es mit dem DSC in der nahen Zukunft aber auch längerfristig hingehen? Was sind realistische Ziele?
Uhlig: Ich glaube, viele haben nach der sportlichen Wiederauferstehung in dieser Saison schon wieder
angefangen vom direkten Aufstieg in die 2. Bundesliga zu träumen. Die jüngsten Ergebnisse haben da aber sicherlich einige wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Das wäre sicherlich auch
ein sehr, sehr, sehr, sehr, sehr ambitioniertes Ziel. Wir sollten insgesamt bei Arminia Bielefeld einfach aufhören zu träumen. Realistisch ist, dass wir diese Saison mit einem Mittelfeldplatz abschließen.
Für die kommende Saison gilt es, das Kunststück hinzukriegen, sowohl weitere Einsparpotenziale zu generieren, als auch unser Herzstück - die Profimannschaft – so aufzustellen, dass sie wieder einen kleinen Schritt nach vorne machen kann. Wir werden für das kommende Jahr sicher nicht den Aufstieg als Ziel ausgeben. Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich vermessen. Andererseits muss es für den DSC ein mittelfristiges Ziel sein wieder in die 2. Liga zurückzukehren.

Wie sehen denn die Planungen für die kommende Saison aus? Gibt es schon eine Tendenz, ob die Leistungsträger gehalten werden können oder Verstärkungen in Aussicht sind?
Uhlig: Welche Schrauben wir für die neue Spielzeit drehen, kann man jetzt noch nicht sagen. Dafür ist es noch zu früh. Fakt ist, dass das Gerüst der Mannschaft steht und diese Spieler auch alle Verträge über die Saison hinaus besitzen. Wir versuchen, wie schon eben gesagt, die Mannschaft stückweise zu verbessern.

Der Trainerwechsel zum Ende des vergangenen Jahres brachte die sportliche Wende. Wie groß ist der tatsächliche Anteil vom neuen Coach Stefan Krämer am Aufschwung? Was hat er geändert bzw. was lief vorher vielleicht auch falsch?
Uhlig: Puuh, eine schwierige Frage. Stefan Krämer hat es einfach mit seiner Art geschafft. Er trifft den richtigen Ton und erreicht damit die Jungs. Stefan ist ein absoluter Vollbluttrainer, der an die ganze Geschichte unvoreingenommen und unverkrampft rangeht. Natürlich mit dem nötigen Ernst aber
eben auch mit der richtigen Portion Lockerheit. Was aber nicht heißen soll, dass sein Vorgänger Markus von
Ahlen ein schlechter Trainer ist. Da kam zu Beginn der Spielzeit sicherlich auch viel Negatives zusammen. Wir mussten im Prinzip eine komplett neue Mannschaft zusammenstellen. So was braucht eben seine Zeit.
Man kann zudem wahrlich nicht behaupten, Markus hätte Glück im Hinblick auf Verletzungen und Sperren von Leistungsträgern gehabt. Wir hatten in einigen Spielen, so banal sich das anhören mag, einfach Pech. So kam eben eins zum anderen. Der Mannschaft fehlte einfach mal ein Befreiungsschlag.


Doch dieser blieb aus. Stattdessen folgte am 17. September die 0:4-Heimniederlage gegen Saarbrücken
Uhlig: Ja, nach dem Saarbrücken-Spiel beschlossen wir, dass sich etwas verändern muss und haben uns dann schweren Herzens von Markus getrennt.

Was brachte anschließend den Umschwung?
Uhlig: Es kam sicherlich begünstigend hinzu, dass wir dank einiger Spielabsagen und eines spielfreien Wochenendes mehr Zeit bis zur nächsten Partie besaßen. Dadurch konnte sich die Mannschaft mit der neuen Konstellation natürlich gezielter einspielen. Dann folgte das ominöse Spiel in Offenbach. Da hat Stefan Krämer es in der Tat geschafft, die Mannschaft optimal einzustellen und vorzubereiten. So haben wir nicht nur 90 Minuten lang den Gegner dominiert, sondern uns endlich mal für die Mühen belohnt (Anm. d. Red. Arminia gewann mit 1:0, durch ein Tor von Marc Rzatkowski in der 82. Minute). Es folgte das, was im Fußball so oft passiert. Die Truppe hatte endlich mal ihr Erfolgserlebnis und spielte ab da befreit auf.

Kommen wir zu deiner Person. Du bist jetzt seit September 2011 Geschäftsführer. Wie ist es zu dieser – zumindest für Außenstehende – doch recht ungewöhnlichen Personalentscheidung
(vom Pressesprecher zum Geschäftsführer) gekommen?

Uhlig: Wenn ich das mal wüsste!? (lacht). Gut, die Situation im August 2011 war die, dass sich der Verein vom damaligen Geschäftsführer Ralf Schnitzmeier aus den bekannten Gründen getrennt hat. (Anm. d. Red. Gegen Schnitzmeier wurde Strafbefehl wegen Körperverletzung und Beleidigung während eines privaten Bordellbesuchs erlassen). Da ging es uns allen erstmal darum, die operative Handlungsfähigkeit nicht zu verlieren bzw. wieder herzustellen. Schließlich bin ich gefragt worden, ob ich mir das - zunächst übergangsweise - vorstellen könnte und habe natürlich zugesagt. Ich bin ja nun schon lange dabei und habe mitbekommen, wie es hinter den Kulissen und im administrativen Bereich zugeht.Daher habe ich mir diese Aufgabe zugetraut.

Also gab es keine großen Eingewöhnungsschwierigkeiten im neuen Job?
Uhlig: Durch die neue Gremienkonstellation, sprich dem neuen Vorstand, Aufsichts- und Wirtschaftsrat
hatte und habe ich das Gefühl, dass endlich alle Gremien ausschließlich zum Wohle des Vereins,leidenschaftlich in eine Richtung arbeiten. Dadurch fühle ich mich natürlich auch ein Stück
weit sicherer. Die tägliche Arbeit bestätigt das. Wir haben da ein echt gutes Team, welches den Verein jetzt leitet. Speziell mit dem neuen Präsidium funktioniert die Zusammenarbeit ausgezeichnet. Wir hatten hier ja auch ganz andere Zeiten. Stichwort: Maulwurfaffäre. Als irgendwelche Gremiensitzungen
noch nicht ganz zu Ende waren und die ersten Inhalte bereits im Internet standen. Diese Zeiten sind Gott sei
Dank vorbei. Man sollte aber weniger darauf anspielen, welche Posten ich vorher innehatte. Klar liest sich das erst einmal ungewöhnlich. Aber durch die Tätigkeiten als Pressesprecher und Teammanager hatte ich bereits vorher einen guten Einblick in den sportlichen und administrativen Bereich.

Das klingt danach, dass du jetzt doch Geschäftsführer bleibst. Oder ist man weiterhin auf der Suche nach einem Nachfolger?
Uhlig: Nein, derzeit wird kein neuer Geschäftsführer gesucht. Ich mache die Sache jetzt seit einem halben Jahr, von daher glaube ich, kann man die Vokabel „interim“ streichen. Den Bereich Teammanagement haben wir jetzt anders organisiert, so dass ich mich wirklich schwerpunktmäßig auf das Thema „Geschäftsführung“ und ein Stück weit noch auf die Pressearbeit konzentrieren kann.
Du bist also nebenbei weiterhin noch Pressesprecher? 
Uhlig: Ich bin nach wie vor verantwortlich für den Bereich Medien und Kommunikation. Mit unserem Volontär Tim Placke haben wir da aber eine praktische Lösung gefunden. Er kümmert sich jetzt um die vielen organisatorischen Dinge im Alltag.

Wie hat sich der neue Posten auf deine Arbeit ausgewirkt? Gehen Journalisten und Spieler nun anders mit dir um?
Uhlig: Eigentlich habe ich immer ein sehr kollegiales und mehr als gutes Verhältnis sowohl intern zu unseren Spielern, als auch extern zu den Journalisten gepflegt. Dass es durch die neue Jobkonstellation nicht immer einfach sein wird, dies beizubehalten, liegt natürlich auf der Hand. Aber ich bemühe mich und würde es mir auch wünschen, wenn dieses gute Miteinander nicht verloren ginge. Und ich glaube, dass muss es auch gar nicht. Vielleicht gab es den einen oder anderen Vorgänger von mir, der nicht immer das beste Verhältnis zu
den Medien hatte. Ich kann mir bisher jedenfalls nicht erklären, warum man sich als Geschäftsführer nicht auch mit den Journalisten gut stellen kann.
yb

Na dann: Cheers

Letztendlich sind wir alle die Opfer unserer Errungenschaften. Doch hat jede Kultur andere Vorstellungen davon, was sie als Errungenschaft gelten lässt. Beispielsweise gibt es Moslems, die bereit wären ihr letztes Hemd zu opfern, um einmal nach Mekka zu pilgern, während der Nationalstolz unzähliger Engländer auf ein lange zurückliegendes Tor gebaut zu sein scheint – was dann noch nicht mal eines war.

Die Subkultur der harten Trinker, die nach ihren eigenen Regeln und Idealen lebt, bildet da natürlich keine Ausnahme. Jedoch hat sie es vorgezogen, diese Ideale so zu gestalten, dass sie von der Leitkultur als unbotmäßig, ja bisweilen gesetzeswidrig sanktioniert werden. Vielleicht ist dies der Grund, warum das Cheers in den Augen der Bielefelder Leitkultur als – nasagenwirmal – schlecht beleumundet gilt.

Zumindest ist das so laut Angie, die bisher sieben ihrer 44 Lebensjahre hinter der Theke des Cheers verbracht hat und den Ruf ihrer Arbeitsstätte gut mit der allabendlichen Realität in Bezug setzen kann. „Es stimmt schon“, sagt die Frau mit blondierter Kurzhaarfrisur, „wir haben hier ein anderes Publikum als andere Läden, das wirkt für Außenstehende manchmal befremdlich!“ Zu den Errungenschaften dieses Publikums zählt neben einer entspannten Grundhaltung zum Thema Alkoholkonsum auch äußerste formale Knappheit in der Bestellkommunikation: „Eeeey, manomma zwei Pils!“ schallt es aus einer im Halbdunkel verborgenen Sitzecke. Oder sollte man sagen „lallt es“? Denn dafür, dass das Cheers erst vor einer knappen halben Stunde – also um 24 Uhr – geöffnet hat, sind die beiden Freunde des Frischgezapften schon gut bedient. „Es ist Monatsanfang, da trinken unsere Gäste gerne und viel, das Geld sitzt halt noch locker“ erklärt Angie, während sie die Luft aus zwei Gläsern raus- und frisches Hasseröder reinlässt.

Manchmal führt das dann zu unschönen Szenen: Nachdem ein Gast sich unlängst mit einer Flasche Mariacron an den Rand einer Alkoholvergiftung gesoffen hatte, schlief er mit dem Kopf auf der Tischplatte ein, was für das Cheers noch kein ungewöhnliches Verhalten ist. Allein: als der Weinbrandafficionado erwachte, stand er auf, ging in eine Ecke der Garderobe und ließ dort einem zutiefst menschlichen Bedürfnis, nun: freien Lauf. Angie: „Ich geh natürlich hin und brüll den an, ob er noch alle Tassen im Schrank hat, da sagt der nur: Entschuldigung, ich dachte, ich wäre zuhause!“ Was die Sache natürlich nicht unbedingt besser macht. Von solchen Zwischenfällen abgesehen, kommt die resolute Schankkraft mit ihrer Stammklientel aber bestens zurecht: „Ich habe mir in den sieben Jahren, die ich hier bin, Respekt verschafft. Anders könnte ich den Job auch nicht machen!“ Inzwischen liebt sie das Cheers und seine Gäste, auch wenn der rustikale Tonfall ihr zunächst befremdlich vorkam. „Mit der Zeit biegt man sich seine Kunden aber zurecht und gewöhnt sich an vieles“ sagt sie und ergänzt, dass viele der Stammgäste inzwischen fast sowas wie eine Familie für sie geworden sind: Da gehe es ja auch oft etwas ruppig zu, aber im Grunde mag und respektiert man sich.

Trotzdem seien an den Wochenenden Türsteher da, vordergründig, um Zechpreller am verrichten ihrer Tätigkeit zu hindern oder um Schlägereien zu unterbinden. „Davon gibt es schon mal welche“ räumt Angie ein, „meistens geht es um Kleinigkeiten. Wenn einer sich schief angeguckt fühlt oder der Spielautomat an einem Abend das Monatseinkommen geschluckt hat“. Dann gebe es schon mal Stress – der aber meistens schnell beigelegt ist. Niemals die Faust erheben würde G., der an der Stirnseite der Theke das Geschehen im Lokal wohlwollend verfolgt und dabei ein nicht enden wollender Quell von Meinungen und Eischätzungen zum Leben im Allgemeinen und dem im Bielefeld im Besonderen ist. Er kommt seit rund 15 Jahren ins Cheers, das damals noch „Schatulle“ hieß. Bei so viel Treue ist gutes Benehmen Ehrensache, und so stören ihn vor allem Gelegenheitsgäste aus den umliegenden Discotheken. „Die kommen hier rotzbesoffen rein, machen einen auf dicke Hose, lärmen rum und fangen dann an zu diskutieren, wenn sie ihren Deckel nicht bezahlen können!“ Deswegen meidet der etwa fünfvierzigjährige Vollbartliebhaber an den Wochenenden seinen „Stammbetrieb“. Was den Laden für ihn davon ab so besonders macht? „Das Cheers kann man nicht erklären, das muss man erlebt haben!“

Mit dem Erleben ist es für eine sichtbar angezählte Rothaarige grade vorbeigegangen. Ihr Verhalten – regelmäßiges Aufsuchen der Toilette in kurzen Intervallen und in Begleitung ihres Bierglases – hatte bei Angie schon für leichtes Kopfschütteln gesorgt. Als die Dame, deren Äußeres die Annahme evoziert, dass sie Nabokov hauptsächlich für eine Vodkamarke hält, jedoch anfing, ihre Bestellungen mit undruckbaren Umschreibungen für das weibliche Geschlecht zu untermauern, wurde es der resoluten Kellnerin zu bunt: für die heutige Nacht ist die Rothaarige im Cheers nicht mehr erwünscht. Immerhin ist so verhindert, dass sie noch an der Stange tanzt, die für solipsistische Burlesqueeinlagen zwischen Decke und Tanzpodest gedübelt wurde. Wird gar nicht so selten genutzt, merkt Angie mit breitem Grinsen an, möchte sich zur Qualität der gebotenen Tanzeinlagen aber lieber nicht äußern. „So um vier, fünf Uhr, da geht es eigentlich erst los mit solchen Aktionen“. Jetzt ist es kurz vor Eins.

Eintretend nun Ivonne, mit langem Haar und suchenden Augen zunächst unschlüssig im Raum stehend, dann aber mit offenem Blick auf die Theke zusteuernd. Sich auf dem Barhocker fallen lassen und ein Alt bestellen sind eines, mit beinahe wissenschaftlicher Sorgfalt ihre Unterlagen sortieren ein weiteres. Immer wieder den Blick durch den Raum wandern lassend, schreibt die brünette Dreißigjährige wie’s scheint zusammenhanglos auf einen Ringblock, streicht durch, murmelt kopfschüttelnd in sich rein und schreibt weiter. „Beobachtungen. Ich beobachte und schreibe auf!“ entgegnet sie auf die Frage, was sie da festhalte. Zu welchem Zweck? „Privat. Rein privat. Uns entgeht so vieles, wir leben schnell und unbedacht, darum schreibe ich auf!“ Sie zieht mehrmals die Woche nachts durch Bielefeld, von Kneipe zu Kneipe, immer auf der Suche nach Dingen, die sie protokollieren kann. Eigentlich kam sie nach Bielefeld, um zu studieren, aber das hat sie nach einigen Jahren aufgegeben. Über die Gründe möchte sie sich nicht äußern, nur soviel: „Seit ich die Stadt beobachte, habe ich das Gefühl, mich wirklich wichtigen Dingen zu widmen!“ Wie etwa ihrem zweiten Alt.

Indes erforschen die Herren am anderen Ende der Theke weiter mit größtmöglicher Sorgfalt die Wirkung von Alkohol auf den männlichen Körper. Mir Ergebnissen rechnen sie nicht vor dem Morgen. Ihre Versuchsreihe unterbrechen sie lediglich mit gelegentlichen Ausflügen in die virtuelle Welt des drucktastergesteuerten Glücksspiels. Offenbar – „Die blöde Kiste taugt auch nix!“ – ohne den erhofften Erfolg. Um Schaden von ihrem Inventar abzuwenden, spendiert Angie zwei Kurze: „Der geht auf’s Haus, dann ist Feierabend!“ Keine schlechte Idee!

Wir verlassen das Cheers, als am Himmel die vage Ahnung eines neuen Tages erscheint. G. hatte Recht, erklären kann man den Laden nicht. Aber ihn manchmal zu erleben kann durchaus unterhaltsam sein. Manchmal!
sb, es

Bühne frei für das Bielefelder Stadttheater!

Über 100-jährige Unterhaltung durch Tanz, Musik und
Schauspiel in der Altstadt

Die junge Frau im kurzen Blümchenkleid wirft sich auf den Boden, windet sich wie ein Aal und schreit – vor Schmerzen, vor Angst?

Wer weiß das schon so genau! Ein Mann mit Hasenmaske läuft über die Bühne, ein zweiter gleich hinterher.
Willkommen in einer Welt, in der Realität und Fiktion dicht beieinander liegen und manch einer sich fragt: Was soll das? Willkommen im Theater! Theater ist alles, aber eines nicht: langweilig, gleichförmig, unnütz! Da
schmunzelt selbst der dröge Westfale einmal, wenn er sich nach Bielefeld verirrt und dort das Theater besucht. Alles begann 1885. Frau Crüwell, die Witwe des Tabakfabrikanten, stiftet 10.000 Mark zum Bau eines Theater- und Konzertsaals. Immer mehr Spenden kommen zusammen. 1900: Einer der berühmtesten Architekten der Zeit wird bestellt und begutachtet, was der Bau eines Theaters kosten soll. Bernhard Sehring, Berliner Architekt und Schöpfer des „Theater des Westen“ errechnet eine Summe von 500.000
Mark. Die Stadt beschließt, das Theater in Eigenregie zu bauen und es dann zu verpachten. 
Einzige Bedingung: Ein Drittel der Gelder müssen aus Spenden der Bielefelder bestehen. Das Projekt gelingt, Grundsteinlegung des Stadttheaters erfolgt 1901. Am 3. April 1904 eröffnet das Theater,
dicht gelegen neben dem Rathaus, mit der »Jubelouvertüre« von Carl Maria von Weber. Danach wird Schillers »Jungfrau von Orleans« gegeben. Zunächst wird nur bis Ende Mai gespielt. Nach dem ersten Weltkrieg und den darauffolgenden Jahren plagen immer wieder finanzielle Sorgen das Theater,
die Bürger sollen hohe Gelder bereitstellen. Trotz der finanziellen Sorgen gelingt es dem Intendanten, das Notwendige zu beschaffen. So werden beispielsweise der Kostüm- und Möbelfundus systematisch
vergrößert, eine Bibliothek angelegt, Musikinstrumente angeschafft, das Orchester vergrößert. 
 
In der Spielzeit 1925/26 kommt das Gebäude „Brunnenstraße 3“ zum Theater hinzu, damit hat das Theater u.a. endlich eine Probebühne und einen Chorsaal. Auch den zweiten Weltkrieg übersteht das Theater beinahe unbeschadet. 2004 wurde das Theater für rund 28 Millionen Euro frisch renoviert, auch hier halfen die Bielefelder Bürger erneut bei der Finanzierung mit: Jeder Sitzplatz wurde von einem Theaterliebhaber
gesponsert. Neben dem klassischen Theaterstück präsentiert das Bielefelder Theater auch Opern und Musicals, Tanztheater sowie verschiedene Konzerte. Klassiker, wie zum Beispiel Brechts „Dreigroschenoper“ oder „Ein Sommernachtstraum“ von William Shakespeare, wechseln sich
mit unbekannten Stücken unserer Zeit ab. Ziel des Ensembles ist jedoch immer, ein gemeinsames Erlebnis zu bescheren und die Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit auf die Bühne zu bringen, die im Zugriff virtueller Realitäten auf unser Leben zunehmend droht abhanden zu kommen. Für Kinder und Jugendliche
gibt es ein spezielles Programm. Gern gespielt werden die Grimmschen Märchen, wie Hänsel & Gretel oder das Tapfere Schneiderlein. Bühne frei für das Bielefelder Stadttheater! Über 100-jährige Unterhaltung durch Tanz, Musik und Schauspiel in der Altstadt Höhepunkt des Jahres für die Kleinen: das Weihnachtsstück
im Dezember. So brachten die Schauspieler den Kinderbuchklassiker „Ein Woche voller Samstage“ rund
um die Abenteuer vom Sams und seinem Papa 2011 auf die Bühne. Mitmachen und entdecken – auch dies ist möglich im Theater Bielefeld. In der Theaterballettschule werden Kinder ab sechs Jahren im Klassischen- und Modernen Tanz sowie im Charaktertanz ausgebildet. Wer Lust hat, als Schauspieler, Musiker, Techniker, Videokünstler, Bühnenbildner, Kostümbildner oder Autor an einer Theaterinszenierung
mitzuwirken, kann dies nach erfolgreicher Bewerbung im Jugendclub tun. Speziell für Schulklassen
und alle Interessierten werden Führungen angeboten. Vorstellungen finden täglich statt. 700 Sitzplätze warten
auf die Besucher.
jb, cb, bs, jw

Wo bleibt der Aufschrei der jungen Bielefelder?

Hätte das Bielefelder Rathaus so ähnlich wie der Steuerzahlerverband in Wiesbaden eine Schuldenuhr, so hätte man im Januar diesen Jahres einen historischen Moment erleben können:  Der Schuldenstand der Ostwestfalenmetropole überschritt erstmals die Milliardengrenze. Im Rathaus regt sich darüber aber kaum jemand auf: Nach Angaben von Oberbürgermeister Pit Clausen rechnet man bereits seit längerem mit einem Schuldenanstieg auf 1,25 Milliarden im Jahr 2015. Seit einigen Generationen werden in Bielefeld die Schulden vererbt - immer in der Hoffnung, die nächsten werden es zahlen. Das Problem ist nur: Zahlen sind ins Unendliche belastbar, die Menschen dieser Stadt nicht.

Was die Stadt zusammenhält, ist auch ein Konsens zwischen Jung und Alt. Ist Solidarität. Dazu gehört vor allem Ehrlichkeit. Diese Schulden wird keiner mehr abzahlen können. Doch es ist nicht allein die Schuldenlast, die kommenden Generationen zu schaffen macht. Es ist die Moral der Geschichte. Die wiegt schwer, faktisch und emotional. Faktisch wird der Gestaltungsspielraum immer enger. Geld wird mehr und mehr für Zinsen, Schuldentilgung, Pensionen und Renten ausgegeben werden müssen – die muss zum Glück nicht immer die Stadt zahlen, sondern das Land NRW. Nur das Land ist genauso pleite wie Bielefeld.  

Das alles kann man beklagen. Doch, und vielleicht ist das ein Wendepunkt in der Schulden-Erbfolge, die Generation 30 plus-minus x hat sich damit auf eine gewisse Art abgefunden. Ja, pure Vernunft darf niemals siegen, haben Tocotronic, eine Band dieser Altersgruppe, einmal gesungen. Und das tut sie auch nicht. Aber die Erwartung an die Politik, egal ob in Bielefeld, Düsseldorf oder Berlin, ist eine andere. Bisher mag man sich den Kopf zerbrechen über schlaglochfreie Straßen, eine ausreichende Versorgung mit Kultur, ein funktionierendes Gesundheitsnetz vor der Haustür oder eine ordentliche Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit. Die Adjektive aber ändern sich. Es geht nicht mehr um das Sichere, das Ausreichende. Es geht nur noch um das Mindestmaß, in jedem Sinne. Es geht um eine Mindestsicherung. Das ist nicht schön. Auch die jüngere Generation würde sich über ein "ausreichend" freuen. Aber sie kennt es nicht anders, weder von der Politik noch vom Berufseinstieg.

Zum Sparen haben schon viele Politiker aufgerufen, gefruchtet haben die Appelle bisher kaum. In der Ökonomie gilt Sparen auch nicht als Selbstzweck. Schuldenmachen ist durchaus erlaubt:  Einige Finanzpolitiker empfehlen in Zeiten der Rezession expansive Ausgaben, auch auf Pump. Läuft die Konjunktur rund, und die Steuereinnahmen sprudeln, sollen die Ausgaben dann aber wieder gesenkt und die Schulden getilgt werden. In der Praxis hat die Politik – egal ob in Bielefeld, im NRW-Länderetat oder auf Bundesebene - freilich zusätzliche Steuereinnahmen stets zur Ausgabensteigerung und nicht zur Schuldentilgung genutzt.

Finanzwissenschaftler haben nichts gegen Kredite, wenn damit langlebige Investitionen finanziert werden. Zum Beispiel Verkehrswege, die auch in kommenden Jahrzehnten genutzt werden können. Die Schulden dienen dann dazu, die Kosten der Investition über die Jahrzehnte zu verteilen. Doch auch dies ist nur graue Theorie: Schulden werden hierzulande nicht nur für Investitionen gemacht, sondern auch für konsumtive Zwecke. Das Geld wird auf Kosten der nächsten Generation verfrühstückt, die dann dafür immer noch Zinsen zahlen darf. Gerade in Gesellschaften mit geringem Zukunftsbezug, in denen Alte und Kinderlose dominieren, ist die Neigung zum Schuldenmachen groß. Die künftige Generation sitzt auch in Bielefeld nicht mit am Tisch, wenn über Ausgaben entschieden wird.

Ohnehin misstrauen die Ökonomen dem Sparwillen der Politiker zutiefst. Wie schwer diesen das Sparen fällt, zeigt die Diskussion um die Erhöhung der Gewerbesteuer in Bielefeld. Dahinter stehen die Begehrlichkeiten der Politiker quer durch alle Parteien. Ausgeben macht halt mehr Spaß als Sparen. In jedem Politiker steckt ein Weihnachtsmann, der mit Wahlgeschenken die nötigen Stimmen für die Wiederwahl zusammenbekommen möchte.

Ökonomen kennen daher auch nur ein Mittel, die Ausgabenwut der Politik zu begrenzen: Zwang. Nur durch externe Vorgaben lassen sich die Ausgaben bremsen. Doch langsam wächst der Sparwille. Dies hängt auch mit der Erkenntnis zusammen, dass steigende Schulden den Handlungsspielraum der Stadt immer mehr einschränken. Wie hoch die städtische Gesamtverschuldung samt der kommunalen Eigenbetriebe (Bühnen, Umweltbetrieb, Immobilienservicebetrieb) ist, macht eine Zahl deutlich: Sie entspricht in etwa dem Gesamtvolumen des laufenden Etats. Das gesamte Vermögen der Stadt beläuft sich auf etwa 2,5 Milliarden Euro. Das habe 2009 die Bilanz für das neue städtische Buchhaltungssystem gezeigt, erklärte Joachim Berens, Geschäftsführer der Bielefelder Beteiligungsgesellschaft, im Gespräch mit Journalisten.

Natürlich sind Bildung und Forschung die Felder, in die Bielefeld investieren muss. Und es stimmt auch, dass wir viel Geld für die Bedürfnisse von heute ausgeben und zu wenig für die von morgen.  Aber die kommunalen Politiker zieht daraus einen Schluss, der das politische Grundübel der Politik in Bielefeld offen legt: Anstatt der einen Generation möglichst fair zu nehmen, was die nächste dringender braucht, soll es Investitionen in die Zukunft lieber auf Pump geben, wenn das Geld nicht für alles und alle reicht.

So lässt sich der Wohlstand in Bielefeld nicht retten. Im Gegenteil: So wird er mit einer kaum mehr zu tragenden Hypothek belastet, denn Schulden sind Schulden. Sie sind nachweislich die Steuern von morgen und erdrückende Last für die Jungen, die kaum mitreden können, wenn sie gemacht werden. Es ist ein bislang unbekannter Gipfel des Widersinns, Schulden zu rechtfertigen mit vermeintlich vorsorgenden Investitionen in die Zukunft derer, die jene Schulden später abbezahlen müssen - und daran wahrscheinlich ersticken werden. Klar ist: der Zeithorizont auch in der Bielefelder Lokalpolitik scheint auf die Gegenwart beschränkt, er bemisst sich nach technischen Innovationszyklen von Wochen oder Monaten und umfasst selbst in der Politik, wo es doch angeblich um die Zukunft geht, nicht mehr als eine Legislaturperiode von vier oder fünf Jahren.
Wer heute von einem Generationenprojekt redet, denkt an Sonderrechte für sich und seine Freunde. Weil er den Sinn für Kontinuität verloren hat, halst er den nächsten Generationen Versorgungslasten und öffentliche Schulden in einer Höhe auf, die er, wären sie ihm selbst zugemutet worden, voller Empörung von sich gewiesen hätte. Der umverteilende Sozialstaat kann die Gesetze der intergenerativen Gerechtigkeit eine ganze Zeit lang ignorieren, aber nicht dauerhaft außer Kraft setzen. Der Generationenbegriff wird sich in seiner ursprünglichen Bedeutung, die etwas mit generieren zu tun hat, wieder bemerkbar machen.

Dann werden sich die Jüngeren daran erinnern, wie die Älteren mit ihnen umgegangen sind, und es genauso machen. Natürlich werden sie den Generationenkonflikt nicht mehr nach dem Muster der griechischen Mythologie austragen, wo Zeus seinen Vater mit der Sichel entmannte und sich auf diese Weise selbst zum Herrscher machte. Alles wird nach den bekannten wohlfahrtsstaatlichen Regeln ablaufen, gesetzlich also, kühl und mitleidlos. Den Beitragserhöhungen, wie sie jahrzehntelang üblich waren, werden ebensolche Leistungskürzungen folgen, der Wohlfahrtsstaat wird für immer mehr Geld immer weniger bieten – und es könnte zu einer Re-Lokalisierung der Politik kommen. Denn dass Bielefeld pleite ist, hat auch etwas mit dem Bund zu tun. Dort wurden sozialpolitische Gaben erdacht, die symphatisch klingen, aber von den Kommunen vor Ort finanziert werden müssen – und die unter dieser Last zerbrechen.

Von Resignation darf in Bielefeld dennoch keine Rede sein. Denn das Mindeste hat auch eine andere Seite. Eine, die Ansprüche an die Lokalpolitik und deren aktuelle Akteure stellt. Politik soll Spielraum nutzen, den sie trotz allem hat, um den Rahmen zu schaffen, in dem diese Generationen ihre Aufgaben bewältigen können. Geld in Bildung, in Kinderbetreuung und ja, auch in Hochschulen investieren. Politik soll also nicht mehr vom Abbau der Schulden reden. Sie soll Perspektiven aufzeigen, wie sie mit dem Ergebnis dieses jahrzehntelangen Exzesses umgeht. Das entbindet nicht vom Sparen, aber zwingt zum Umdenken. Sozial ist, was kommenden Generationen in dieser Stadt ermöglicht, mit der finanziellen Lage umzugehen. Ihr, die Politiker, solltet  ausreichend und qualitativ hochwertige Kitaplätze zusichern, damit wir Bürger arbeiten gehen können, die Renten finanzieren. Um jedoch wertschöpfende Arbeitsplätze überhaupt halten zu können, braucht wir Wissenschaft und Innovation, sonst entstehen diese Arbeitsplätze in Rumänien oder in Vietnam, aber nicht mehr in Bielefeld. Das ist Aufgabe der Politik hier vor Ort. Das ist das Verlangen nach einer neuen Ehrlichkeit, nach einer anderen Form der Gerechtigkeit. Und nach einer neuen Leidenschaft. Angemahnt werden diese Investitionen schon lang, nur bleibt alles halbherzig. Zu klein ist die junge Generation als Wählergruppe und zu wenig erkennt diese Generation, dass ihre Zukunft bereits halb verzockt wurde.

mb

Bielefeld? Ich dachte das gibt es nicht...




Mit dieser Einstellung steh ich bestimmt nicht alleine da. Viele haben sich schon gefragt, ob Bielefeld nur ein Punkt auf der Landkarte ist, wo komplette Einöde herrscht.

Das Bermuda-Dreieck Deutschlands! Die Reise nach Bielefeld lässt mich voller Erwartungen hoffen, was ich gleich zu Gesicht bekomme. Wie sehen dort die Menschen aus? Gibt es dort überhaupt Menschen? Wohnen diese in normalen Häusern? Fragen über Fragen sammeln sich in meinem Kopf. Die einstündige ICE-Fahrt von Hannover nach Bielefeld gestaltet sich eher unspektakulär. Nein ich möchte keinen Kaffee sondern meine Ruhe und nein neben mir ist auch kein Sitzplatz frei.

Schließlich muss ich mich auf Bielefeld vorbereiten und kann keine Ablenkung gebrauchen. 9:10 Uhr Menschen stehen in hektischen Bewegungen auf und gehen Richtung Tür. Mein Blick aus dem ICE-Fenster verrät mir jedoch, dass wir mitten in der Pampa sind und nicht mal ein Bruchteil eines Gebäudes zu sehen ist. Mich durchschießen sofort Gedanken wie: ist Bielefeld eigentlich nur Feld, hält der ICE überhaupt an oder muss man bei verminderter Fahrt den Zug verlassen? Minuten der Angst überkommen mich, ist Bielefeld wie ein schwarzes Loch und lässt einen nicht mehr heraus. Sollte ich mich noch schnell von Freunden auf Facebook verabschieden und mein Testament kurz posten.

9:19 Uhr eine Stimme erklingt: „In wenigen Minuten erreichen Sie Bielefeld Hauptbahnhof“. Die angekündigten wenigen Minuten stellten sich als 30 Sekunden heraus. Mit Mühe und Not schaffe ich es, meine Jacke anzuziehen und den hereinströmenden Menschen auszuweichen, um meinen Fuß auf Bielefelder Boden abzustellen.

Mein Blick wandert zu der Bahnhofs-Anzeige, um mich noch einmal zu vergewissern, wo ich mich gerade befinde. Und tatsächlich, ich bin in Bielefeld. In Trance wandert mein Blick über die Gleise, sieht eigentlich alles ziemlich normal aus, nur das arabische Hallenbad neben dem Bahnhof scheint ein wenig deplatziert.

So weit so gut. Die Bielefelder Innenstadt stellt sich als klein aber gut erreichbar dar. Die Menschen die durch, die Straßen wandern sehen normal und nett aus. Im Gespräch mit einem Bielefelder was dass tollste an der Stadt ist, stellt man schnell heraus, dass Dr. Oetker auf Platz eins liegt. Dieses internationale Unternehmen verschafft Bielefeld, den vermissten Glamour.
Geht es um die Architektur so besteht Bielefeld aus Plattenbauten der 70er Jahre, die ihre besten Tage schon lange hinter sich haben. Den meisten Bielefeldern ist dieses zwar bewusst aber darauf wird kein großer Wert gelegt.
Ein Bielefelder muss immer wieder betonen das Bielefeld zu dem Kreis OWL gehört, dass macht es zwar für einen Außenstehenden nicht besser aber anscheinend ist es für einen Bielefelder weltbewegend.

Neben diesen Attributen ist Bielefeld stolz auf ihre Sparrenburg, welche so hoch gelegen ist, dass man nach dem Erklingen des Berges ein Sauerstoffzelt braucht. Und der Teutoburger Wald der die Stadt in zwei teilt. Na Mensch so ein Wald ist schon toll.

Jedoch muss man Bielefeld in vielen Sachen loben. Der sogenannte Kaffee-Strich hat mir den besten Kakao meines Lebens beschert und auch die kulinarische Seite Bielefelds ist sehr lecker. Natürlich muss man Bielefeld auch ein paar Geschmacksverirrungen zu gute kommen lassen. Der sogenannte Pickert stellt auf dem ersten Blick eine Dschungelprüfung dar, jedoch ist dieser sehr wohlschmeckend.

Das Bielefelder Nachtleben kann mit Großstädten durchaus mithalten und das feierwütige Partyvolk kann dazu vieles beitragen.

Nach insgesamt 24 Stunden verlasse ich Bielefeld und kann schlussendlich sagen, ja es gibt Bielefeld und ja, es lohnt sich auch, Bielefeld kennenzulernen. Denn das Highlight überhaupt entdeckt man direkt am Bahnhof, der junge Herr der die Durchsagen macht hat nicht nur eine außergewöhnliche prägnante Stimme, sondern er sorgt auch dafür, dass man auch bei langen Verspätungen ein Lächeln auf den Lippen hat.
Als ich Bielefeld verlassen will, erklingt seine Stimme um mir mitzuteilen, das mein ICE wenige Minuten später eintreffen wird, im Hintergrund ist ein jaulender Hund zu hören. Nachdem der Standardsatz für allgemeine Verspätungen erklungen ist, hört man den Hund weiterwinseln worauf der Schaffner mit einem stöhnenden „Oh ja mach weiter“ reagiert. Der ganze Bahnhof erbebt durch eine Welle des Lachens.

Bielefeld ist skurril und ein Mythos und vielleicht auch ein Fall für X-Factor: das Unfassbare aber es ist auch bodenständig sympathisch und lieber außergewöhnlich als langweilig. Und langweilig ist Bielefeld bestimmt nicht!

„And the Pudding goes to... „ Kabarettpreis 2012 mit neuen Talenten / Till Reiners holt den Pudding

Wenn aus lustiger Grütze Pudding wird, kann nur die Rede vom Bielefelder Kabarettpreis sein. In diesem Jahr ging der Preis an den Berliner Komiker Till Reiners, der ihn mit großer Freude entgegen genommen hat. Der an die Wand genagelte Pudding-Preis wird einmal im Jahr verliehen und ist das ostwestfälische Sprungbrett für junge Künstler aus ganz Deutschland. 

Der begehrte Pudding-Preis wurde in diesem Jahr am 25. Februar auf der Kleinkunstbühne des Zweischlingen-Lokals verliehen. Der Gewinner Till Reiners kann sich jetzt nicht nur den bunten Pudding an die Wand nageln, er erhält zusätzlich 2.500 Euro und einen Komplettauftritt im Szene-Lokal. Reiners musste sich gegen Fee Badenius aus Hamburg und den Bonner Sebastian Nitsch im Finale durchsetzen. Der 34-jährige Nitsch glänzte mit seinem Umhänge-Keyboard und Parodien aus seinem Leben. Die charmante Fee Badenuis entzückte das Publikum mit ihrem gekonnten rehhaften Augenaufschlag und ihrer hinreißenden Art. Doch vom liebreizenden Äußeren sollte sich der Zuschauer nicht täuschen lassen, denn die 26-jährige Hamburgerin wettert in ihren Liedtexten schonungslos offen gegen die Männerwelt. 

Der Gewinner Reiners beeindruckte die fünfköpfige Jury mit bissiger Sozialkritik:
„Wut ist Treibstoff. Wir sind hier in Deutschland, da haben wir kein Öl. Da bleibt uns nur die Wut. Das ist unser kostbarster Rohstoff.“

Seinen Gedankenketten folgte das Publikum gespannt und gerne. Der Berliner ist nicht nur in Kabarettkreisen bekannt, er hat sich auch schon in der Poetry-Slam-Szene einen Namen gemacht. Komiker Bülent Ceylan wurde durch den Pudding-Preis bekannt in den 15. Jahren des Wettbewerbs, entpuppten sich manche Stars, die heute große Hallen füllen. Eine der Größen ist der halb-türke Bülent Ceylan, der mittlerweile eine eigne Show auf dem Privatsender RTL hat. Sein erster Auftritt im Zweischlingen ist elf Jahre her. Ein weiterer Pudding-Preis Besitzer ist Johann König, der schon damals mit seiner verklemmten Art das Publikum begeisterte. Zum Jubiläum gab es den grünen Pudding-Preis mit Glitzer Der Pudding-Preis wurde 1998 von der Kabarettgemeinschaft Bielefeld e.V. ins Leben gerufen. Außerdem beteiligt sich an der Organisation als Mitveranstalter von „Newtone Management“ Tom Kummerfeldt. Der Mitveranstalter Kummerfeldt ist von der ersten Stunde dabei und erlebte schon viele Künstler, die erst unscheinbar für ihn waren. So zum Beispiel die bayrische Komikerin Martina Schwarzmann, die mit einer Gitarre das Zweischlingen betrat und zunächst von keinem erkannt wurde, sich dann aber auf der Bühne als Feuerwerk der guten Laune entpuppte. Das Publikum kann gespannt sein, welche jungen Talente im kommenden Jahr 2013 auftreten, denn im Zweischlingen spürt man noch das erste Herzklopfen von Kabarettgrößen in Spe.

sg, fm, hn



Gedankenleser oder über den Versuch, nachträglich klüger zu werden




Von Marcus Bölz



Synaps ist Synaps, und Dienst ist Dienst - dieses alte Sprichwort trifft auf die Spezies der Hirnforscher nun gar nicht zu. Synaps ist Dienst bei dieser Art von Wissenschaftlern - und der Dienst an den Synapsen geht mittlerweile so weit, dass Otto Normalhirni demnächst wahrscheinlich nicht mehr selber denken muss. Der Hirnforscher nämlich kann Gedankenlesen. Wofür Hexen in der frühen Neuzeit verbrannt wurden (auch weil die Universitätsabteilungen der Neuroethiker damals wegen fehlenden Bafögs personell noch sehr dünn ausgestattet waren), bringt heute wissenschaftlichen Ruhm und intersubjektiv transmissible Ehre, wie wir Anhänger der Elektrostimulation kortikaler Areale vor uns hinsäuseln. Aber das nur am Rande.

Hirnforscher zapfen also das Hirn an und können mittlerweile feststellen, was der Hirneigentümer so denkt - noch bevor der Hirneigentümer selber weiß, was er denkt. Das funktioniert jetzt aber nicht etwa so, dass studentische Hilfskräfte die 15 Milliarden Nervenzellen im Hirn von Hand durchzählen und protokollieren, was diese so tun - und sich hinterher beklagen, ihr Studium dauere so lange. Keine Bange! Die Aktivität der Neuronen wird von Magnetresonanztomografen aufgezeichnet und von Computern ausgemessen. Das mechanische Gedankenlesen geht deshalb unter dem Stichwort "Neuronenbombe" in die Wissenschaftsgeschichte ein. Aber das nur am Rande. Denn eigentlich geht es doch darum, den Wunsch eines anonym bleibend wollenden Ex-FHM-Studierenden mal öffentlich in die Runde zu werfen, der vor Beendigung seines Studiums im Vertrauen meinte: Hätte ich doch lieber Architektur studiert.

Ja, Architekten. Wenn man abends aus dem Fenster auf die graue Wand gegenüber schaut und über sein grauenhaft graues Dasein nachdenkt, kann es passieren, dass ein stilvoller Herr sein schwarzes Cabrio vor dem Altbau nebenan parkt und mit einer unfassbar intelligenten und attraktiven Frau im Hauseingang verschwindet. Kurze Zeit später geht das Licht in der beneidenswert geschmackvoll eingerichteten, vollverglasten Dachwohnung an. Ein Architekt, denkt man, bestimmt ein Architekt. Architekt müsste man sein. Was Architekten alles können! Beim Italiener einen Flughafen auf die Serviette kritzeln, zwanzig Millionen Honorar dafür kassieren und mit dem Porsche nach Cannes donnern, wo die Segelyacht liegt, auf der lolloförmig die Freundin liegt. Das können Architekten.
Architekten behaupten allerdings, alles sei gar nicht so. Und dass sie arme Designerwürstchen seien, unglücklich bis in beide Zipfel. Sagen, sie bekämen keine Aufträge, nur Magengeschwüre, und am Ende falle ihnen beim nächtlichen Plänezeichnen die Netzhaut ab, wie es Le Corbusier passiert ist. Außerdem möge sie keiner. „Alles Schwachköpfe“, sagte Flaubert über die Architekten, „vergessen immer die Treppen. “ Trotzdem: Von Bravo nach Traumberufen befragt, antworteten die meisten Jugendlichen „Journalist“, hihi, dann aber gleich „Architekt“. Weit abgeschlagen Ärzte, Börsenmakler, Künstler. Klar: Ärzte gelten als gute Menschen, müssen aber jeden Tag jammernde Leute abtasten und ein Leben in weiß gekachelten Korridoren führen. Börsenmakler verdienen einen Haufen Geld, aber das Image ist einfach vollkommen zerstört. Künstler suchen im Schlamm der Ölfarben sich selbst, sind aber bitterarm, immer verkannt. Will man so leben? Der Architekt verbindet Moral und Moneten, Business und Bohème, ist reich wie ein Broker, kreativ wie ein Künstler, wohltätig wie ein Arzt.

Stars werden neidisch, wenn sie Architekten sehen. Brad Pitt erklärte jüngst, er wolle Landschaftsarchitekt werden, plane eine ganze Siedlung. Bretter-Pitt, der Betonbeau! Angeblich steht die Siedlung bereits. Was will er? Ein Leben führen wie Lothar Matthäus, dem gelernten Raumausstatter, dessen unvergessliche Aussage: „Das wäre dann so in Richtung Innenarchitekt weitergegangen“ eine ganze Branche in Aufwallung gebracht hat? Hmm. Will man wirklich Architekt sein? Nicht doch lieber Prinz? Star? Ach. Hauptsache Milliardär.

Dass Lothar Matthäus ("Die Schuhe müssen immer zum Gürtel passen!") sich in sachter Regelmäßigkeit mit blutjunge Damen vermählt, ist bekannt. Dass er jetzt schon wieder durch die Trennung von seiner jüngsten Ehefrau auffällig wird, wundert einen deshalb nur bedingt. Lothar Matthäus sagt: "Ich brauche noch einige Zeit, um nachzudenken." Das ist ein Problem. So viel Zeit haben wir nicht. Zitieren wir deshalb schnell die frühere RTL-Sexpertin Erika Berger, auch schon über 70, die Lothar Matthäus im Küchenpsychologie-Fachblatt "Das Neue" folgende Standpauke gehalten hat: "Überlegen Sie, was Sie wirklich wollen. Sie sollten ein Mann mit Verstand werden." Geht das? Nachträglich? Okay, man hat ja jetzt auch festgestellt, dass die Strahlung von Mobiltelefonen Mäuse vor Alzheimer schützen und sogar nachträglich heilen können. Und ein Lothar Matthäus telefoniert ja ständig mobil. Vielleicht sind seine Mäuse deshalb nach einiger Zeit immer so nachdenklich geworden. Vielleicht wollten sie sich deshalb auch immer gleich scheiden lassen. Vor einiger Zeit gab es tatsächlich Menschen in Bielefeld, die ernsthaft erwogen haben, Lothar Matthäus als Trainer bei der Arminia zu installieren. Gott sei Dank, dass dieser Kelch an OWL vorbeizog.

Interessant wäre jetzt zu erfahren, ob irgendein Magnetresonanztomograf dieser Erde schon weiß, was der Schreiber dieser Zeilen noch nicht weiß: wie nämlich diese Glosse enden soll. Einfach so? Ohne Schlusspointe? Das wäre dann ein Fall für die Neuroethiker. Oder für den Presserat? Der Autor könnte auch mal aus Erfahrung nachträglich klüger werden.


Ein Leben in Bielefeld

Die 82-jährige Inge Winterhalter(geborene Gössling) ist fest mit ihrer Heimatstadt Bielefeld verwurzelt. Besonders im Norden Bielefelds, in „ihrem“ Stadtteil Schildesche, fühlt sie sich heimisch. Bereits 1947, kurz vor ihrem Abitur und ihrer anschließenden Ausbildung zur Bankkauffrau, lernte die damals 17 Jährige ihren späteren Ehemann Friedemann Winterhalter kennen, den sie zwei Jahre später heiratete. Zusammen mit ihrem 1999 verstorbenen Mann hat sie drei Kinder. Mit vielen Orten in Bielefeld verbindet Inge Winterhalter einen Teil ihrer persönlichen Geschichte. Dazu zählen unter anderem das Restaurant „Schöne Aussicht“ in der Nähe der Sparrenburg, ein ganz besonderes Haus im Bielefelder Stadtteil Schildesche sowie die im Norden Bielefelds gelegene Eisenbahnbrücke.

Das Restaurant und Tanzlokal „Schöne Aussicht“
Noch heute sind das Restaurant und der 1985 erbaute Wellness-Club „Schöne Aussicht“ im Bielefelder Stadtteil Gadderbaum ein beliebtes Ausflugsziel bei Wanderern und Erholungssuchenden. Schon in den 1930er-Jahren lockte das Restaurant vor allem aufgrund seiner Lage über der Stadt und der Nähe zur Sparrenburg viele Spaziergänger zum Verweilen ein. „Besonders an den Wochenenden habe ich mit meinen Eltern kleine Ausflüge zur ‚Schönen Aussicht‘ unternommen. Wir sind dort oft mit befreundeten Familien und deren Kindern bis zum Restaurant spaziert. Damals war dort noch im Garten ein Affenkäfig mit einigen Schimpansen. Neugierig wie kleine Kinder sind, habe ich meinen Kopf durch die Gitterstäbe gedrückt und konnte ihn nicht mehr herausziehen. Erst mein Vater und ein herbeigeeilter Freund von ihm konnten die Gitterstäbe so weit auseinander ziehen, sodass meine Mutter meinen Kopf herausführen konnte. Von da an habe ich den Affenkäfig natürlich immer gemieden“, scherzt Inge Winterhalter. „Nach dem Krieg war ich dort oft mit meinem Freund und späteren Mann zum Tanzen. Einige Male haben wir dort auch die Hochzeiten von Freunden und Bekannten gefeiert. Man kann also sagen, dass mich die ‚Schöne Aussicht“ immer wieder begleitet hat.“

Das Haus der Familie Grönewald
Das NS-Regime trieb die Ausgrenzung und Diskriminierung der Juden in Deutschland in den Jahren nach der Machtergreifung 1933 immer weiter voran. Mit der Reichsprogromnacht am 9. November 1938 gipfelte diese systematische Ausgrenzung zum ersten Mal in groß angelegten und gelenkten Gewaltmaßnahmen gegenüber den Juden. Im Anschluss wurden immer mehr Juden in Konzentrationslagern deportiert und ab 1941 systematisch in sogenannten Vernichtungslagern ermordet. Auch in Bielefeld kam es zu Übergriffen und Deportationen von Juden und anderen Menschen, die das NS-Regime als „minderwertig“, störend oder aufwieglerisch erachtete. In besonderer Erinnerung ist Inge Winterhalter die jüdische Familie Grönewald.
„Meine Mutter Klara Gössling war Schneiderin und ging nachts heimlich zu der Familie Grönewald, um bei ihnen für die Anfertigung von Kleidung Maß zu nehmen. Wenn herausgekommen wäre, dass sie für eine jüdische Familie Kleider schneidert, hätte meine Mutter mit schweren Strafen rechnen müssen. Zum Dank erhielt sie von der Familie eine Kristallschale, die wir heute noch besitzen. Viele Familien brachten ihre Kinder ins Ausland als die Ausgrenzung und die Verfolgung der Juden zunahm. So handelten auch die Grönewalds, indem sie ihre Kinder nach Südamerika schickten. Herr Grönewald wollte Deutschland nicht verlassen, weil er der Auffassung war, dass ihn und seine Frau seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg vor weiteren Übergriffen des NS-Regimes schützen würde.
Mit vielen anderen Juden wurden auch die Grönewalds vor ihrer Deportation in ein Konzentrationslager in einem Saal am Kesselbrink gesammelt und mussten unter Zwang unterschreiben, dass sie auf ihr Haus und ihren übrigen Besitz verzichten. Als die Menschen in Bielefeld davon erfuhren, begannen sie, das Haus der Familie zu plündern. Nach der Schule, ich muss etwa elf Jahr alt gewesen sein, ging ich zusammen mit einer Schulfreundin zu dem Haus, wo viele andere Leute dabei waren, Dinge aus dem Haus zu tragen. In einem Zimmer fanden wir einige Nesthäkchen-Bände der Kinderbuchautorin Else Ury, die wir beide sehr gerne lasen. Als ich mit dem Buch nach Hause kam, war meine Mutter entsetzt und schickte mich zurück in das Haus der Grönewalds. Meiner Mutter ließ den Einwand nicht gelten, dass meine Schulfreundin sich dann das Buch nehmen würde und unter Tränen legte ich den Nesthäkchen-Band wieder zurück in das Zimmer im Haus der Grönewalds.“
Der Schildescher Viadukt
Mit vielen geschichtsträchtigen Orten in Bielefeld verbindet die 82-Jährige auch ihre ganz persönliche Geschichte. Dazu zählt besonders der Schildescher Viadukt, der das Johannisbachtal überbrückt und so den Zugverkehr zwischen Minden und Hamm ermöglicht. „Die Bahnstrecke ist nur einen Kilometer weit entfernt von meinem Haus. Als die Eisenbahnbrücke 1847 erbaut wurde, half mein Ur-Großvater beim Bau. Weil zunehmend immer mehr Unternehmen ihre Fertigung auf automatische Webmaschinen umstellten, gehörte auch er zu den vielen Angestellten, die ihre Arbeit in den Textilmanufakturen verloren. Folglich war er sehr froh, auf der Baustelle des Viadukts eine Anstellung zu haben. Doch durch den feinen Staub auf der Baustelle zog er sich eine Lungenkrankheit zu, die ihn bereits mit 48 Jahren dahinraffte.“
Als im September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, wurde der Schildescher Viadukt zu einem wichtigen Ziel der alliierten Bomberverbände. Erst kurz vor Kriegsende am 14. März 1945 konnten britische Bomber den Viadukt mit einer zehn Tonnen schweren Spezialbombe zerstören. Das Gebiet um die Eisenbahnbrücke glich einer Kraterlandschaft. Nur wenige Häuser in der unmittelbaren Umgebung blieben von den unzähligen Angriffen verschont – das Haus von Inge Winterhalters Familie zählte dazu: „Für die Schildescher war es ein befreiendes Gefühl. Mit der Zerstörung des Viadukts mussten sie nun endlich keine Bomber mehr fürchten. Besonders befreiend war es auch für mich, denn mein Vater war in der Wehrmacht und wurde damit beauftragt, den Viadukt vor Sabotageakten zu sichern und ihn beim Anflug von Bombergeschwadern zu vernebeln, um den alliierten Besatzungen das Bombardieren der Eisenbahnbrücke zu erschweren.
Nach der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 kamen immer wieder britische und amerikanische Offiziere zur zerstörten Brücke, um die Schäden zu begutachten. Für die Kinder, genau wie für meinen 1951 geborenen Sohn Ulrich, waren die Ruine des Viadukts und die mit Wasser gefüllten Bombenkrater wie ein großer Spielplatz. Nach dem Krieg war mein Mann bei der Baufirma Philipp Holzmann tätig. Als die Brücke wieder aufgebaut wurde, war er auf der Baustelle als Bauleiter tätig. Man kann also sagen, dass ich eine sehr gute Verbindung zu diesem Bauwerk habe.“

Wenn ich beispielsweise einkaufen gehe, mit der Straßenbahn in die Stadt fahre oder Freunde besuche, komme ich an vielen Orten oder Gebäuden vorbei, mit denen ich unzählige Erinnerungen verbinde. Das lässt Bielefeld und ganz besonders Schildesche zu meiner Heimat werden.“

sw