Dienstag, 13. März 2012

Gedankenleser oder über den Versuch, nachträglich klüger zu werden




Von Marcus Bölz



Synaps ist Synaps, und Dienst ist Dienst - dieses alte Sprichwort trifft auf die Spezies der Hirnforscher nun gar nicht zu. Synaps ist Dienst bei dieser Art von Wissenschaftlern - und der Dienst an den Synapsen geht mittlerweile so weit, dass Otto Normalhirni demnächst wahrscheinlich nicht mehr selber denken muss. Der Hirnforscher nämlich kann Gedankenlesen. Wofür Hexen in der frühen Neuzeit verbrannt wurden (auch weil die Universitätsabteilungen der Neuroethiker damals wegen fehlenden Bafögs personell noch sehr dünn ausgestattet waren), bringt heute wissenschaftlichen Ruhm und intersubjektiv transmissible Ehre, wie wir Anhänger der Elektrostimulation kortikaler Areale vor uns hinsäuseln. Aber das nur am Rande.

Hirnforscher zapfen also das Hirn an und können mittlerweile feststellen, was der Hirneigentümer so denkt - noch bevor der Hirneigentümer selber weiß, was er denkt. Das funktioniert jetzt aber nicht etwa so, dass studentische Hilfskräfte die 15 Milliarden Nervenzellen im Hirn von Hand durchzählen und protokollieren, was diese so tun - und sich hinterher beklagen, ihr Studium dauere so lange. Keine Bange! Die Aktivität der Neuronen wird von Magnetresonanztomografen aufgezeichnet und von Computern ausgemessen. Das mechanische Gedankenlesen geht deshalb unter dem Stichwort "Neuronenbombe" in die Wissenschaftsgeschichte ein. Aber das nur am Rande. Denn eigentlich geht es doch darum, den Wunsch eines anonym bleibend wollenden Ex-FHM-Studierenden mal öffentlich in die Runde zu werfen, der vor Beendigung seines Studiums im Vertrauen meinte: Hätte ich doch lieber Architektur studiert.

Ja, Architekten. Wenn man abends aus dem Fenster auf die graue Wand gegenüber schaut und über sein grauenhaft graues Dasein nachdenkt, kann es passieren, dass ein stilvoller Herr sein schwarzes Cabrio vor dem Altbau nebenan parkt und mit einer unfassbar intelligenten und attraktiven Frau im Hauseingang verschwindet. Kurze Zeit später geht das Licht in der beneidenswert geschmackvoll eingerichteten, vollverglasten Dachwohnung an. Ein Architekt, denkt man, bestimmt ein Architekt. Architekt müsste man sein. Was Architekten alles können! Beim Italiener einen Flughafen auf die Serviette kritzeln, zwanzig Millionen Honorar dafür kassieren und mit dem Porsche nach Cannes donnern, wo die Segelyacht liegt, auf der lolloförmig die Freundin liegt. Das können Architekten.
Architekten behaupten allerdings, alles sei gar nicht so. Und dass sie arme Designerwürstchen seien, unglücklich bis in beide Zipfel. Sagen, sie bekämen keine Aufträge, nur Magengeschwüre, und am Ende falle ihnen beim nächtlichen Plänezeichnen die Netzhaut ab, wie es Le Corbusier passiert ist. Außerdem möge sie keiner. „Alles Schwachköpfe“, sagte Flaubert über die Architekten, „vergessen immer die Treppen. “ Trotzdem: Von Bravo nach Traumberufen befragt, antworteten die meisten Jugendlichen „Journalist“, hihi, dann aber gleich „Architekt“. Weit abgeschlagen Ärzte, Börsenmakler, Künstler. Klar: Ärzte gelten als gute Menschen, müssen aber jeden Tag jammernde Leute abtasten und ein Leben in weiß gekachelten Korridoren führen. Börsenmakler verdienen einen Haufen Geld, aber das Image ist einfach vollkommen zerstört. Künstler suchen im Schlamm der Ölfarben sich selbst, sind aber bitterarm, immer verkannt. Will man so leben? Der Architekt verbindet Moral und Moneten, Business und Bohème, ist reich wie ein Broker, kreativ wie ein Künstler, wohltätig wie ein Arzt.

Stars werden neidisch, wenn sie Architekten sehen. Brad Pitt erklärte jüngst, er wolle Landschaftsarchitekt werden, plane eine ganze Siedlung. Bretter-Pitt, der Betonbeau! Angeblich steht die Siedlung bereits. Was will er? Ein Leben führen wie Lothar Matthäus, dem gelernten Raumausstatter, dessen unvergessliche Aussage: „Das wäre dann so in Richtung Innenarchitekt weitergegangen“ eine ganze Branche in Aufwallung gebracht hat? Hmm. Will man wirklich Architekt sein? Nicht doch lieber Prinz? Star? Ach. Hauptsache Milliardär.

Dass Lothar Matthäus ("Die Schuhe müssen immer zum Gürtel passen!") sich in sachter Regelmäßigkeit mit blutjunge Damen vermählt, ist bekannt. Dass er jetzt schon wieder durch die Trennung von seiner jüngsten Ehefrau auffällig wird, wundert einen deshalb nur bedingt. Lothar Matthäus sagt: "Ich brauche noch einige Zeit, um nachzudenken." Das ist ein Problem. So viel Zeit haben wir nicht. Zitieren wir deshalb schnell die frühere RTL-Sexpertin Erika Berger, auch schon über 70, die Lothar Matthäus im Küchenpsychologie-Fachblatt "Das Neue" folgende Standpauke gehalten hat: "Überlegen Sie, was Sie wirklich wollen. Sie sollten ein Mann mit Verstand werden." Geht das? Nachträglich? Okay, man hat ja jetzt auch festgestellt, dass die Strahlung von Mobiltelefonen Mäuse vor Alzheimer schützen und sogar nachträglich heilen können. Und ein Lothar Matthäus telefoniert ja ständig mobil. Vielleicht sind seine Mäuse deshalb nach einiger Zeit immer so nachdenklich geworden. Vielleicht wollten sie sich deshalb auch immer gleich scheiden lassen. Vor einiger Zeit gab es tatsächlich Menschen in Bielefeld, die ernsthaft erwogen haben, Lothar Matthäus als Trainer bei der Arminia zu installieren. Gott sei Dank, dass dieser Kelch an OWL vorbeizog.

Interessant wäre jetzt zu erfahren, ob irgendein Magnetresonanztomograf dieser Erde schon weiß, was der Schreiber dieser Zeilen noch nicht weiß: wie nämlich diese Glosse enden soll. Einfach so? Ohne Schlusspointe? Das wäre dann ein Fall für die Neuroethiker. Oder für den Presserat? Der Autor könnte auch mal aus Erfahrung nachträglich klüger werden.


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