Dienstag, 13. März 2012

Wo bleibt der Aufschrei der jungen Bielefelder?

Hätte das Bielefelder Rathaus so ähnlich wie der Steuerzahlerverband in Wiesbaden eine Schuldenuhr, so hätte man im Januar diesen Jahres einen historischen Moment erleben können:  Der Schuldenstand der Ostwestfalenmetropole überschritt erstmals die Milliardengrenze. Im Rathaus regt sich darüber aber kaum jemand auf: Nach Angaben von Oberbürgermeister Pit Clausen rechnet man bereits seit längerem mit einem Schuldenanstieg auf 1,25 Milliarden im Jahr 2015. Seit einigen Generationen werden in Bielefeld die Schulden vererbt - immer in der Hoffnung, die nächsten werden es zahlen. Das Problem ist nur: Zahlen sind ins Unendliche belastbar, die Menschen dieser Stadt nicht.

Was die Stadt zusammenhält, ist auch ein Konsens zwischen Jung und Alt. Ist Solidarität. Dazu gehört vor allem Ehrlichkeit. Diese Schulden wird keiner mehr abzahlen können. Doch es ist nicht allein die Schuldenlast, die kommenden Generationen zu schaffen macht. Es ist die Moral der Geschichte. Die wiegt schwer, faktisch und emotional. Faktisch wird der Gestaltungsspielraum immer enger. Geld wird mehr und mehr für Zinsen, Schuldentilgung, Pensionen und Renten ausgegeben werden müssen – die muss zum Glück nicht immer die Stadt zahlen, sondern das Land NRW. Nur das Land ist genauso pleite wie Bielefeld.  

Das alles kann man beklagen. Doch, und vielleicht ist das ein Wendepunkt in der Schulden-Erbfolge, die Generation 30 plus-minus x hat sich damit auf eine gewisse Art abgefunden. Ja, pure Vernunft darf niemals siegen, haben Tocotronic, eine Band dieser Altersgruppe, einmal gesungen. Und das tut sie auch nicht. Aber die Erwartung an die Politik, egal ob in Bielefeld, Düsseldorf oder Berlin, ist eine andere. Bisher mag man sich den Kopf zerbrechen über schlaglochfreie Straßen, eine ausreichende Versorgung mit Kultur, ein funktionierendes Gesundheitsnetz vor der Haustür oder eine ordentliche Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit. Die Adjektive aber ändern sich. Es geht nicht mehr um das Sichere, das Ausreichende. Es geht nur noch um das Mindestmaß, in jedem Sinne. Es geht um eine Mindestsicherung. Das ist nicht schön. Auch die jüngere Generation würde sich über ein "ausreichend" freuen. Aber sie kennt es nicht anders, weder von der Politik noch vom Berufseinstieg.

Zum Sparen haben schon viele Politiker aufgerufen, gefruchtet haben die Appelle bisher kaum. In der Ökonomie gilt Sparen auch nicht als Selbstzweck. Schuldenmachen ist durchaus erlaubt:  Einige Finanzpolitiker empfehlen in Zeiten der Rezession expansive Ausgaben, auch auf Pump. Läuft die Konjunktur rund, und die Steuereinnahmen sprudeln, sollen die Ausgaben dann aber wieder gesenkt und die Schulden getilgt werden. In der Praxis hat die Politik – egal ob in Bielefeld, im NRW-Länderetat oder auf Bundesebene - freilich zusätzliche Steuereinnahmen stets zur Ausgabensteigerung und nicht zur Schuldentilgung genutzt.

Finanzwissenschaftler haben nichts gegen Kredite, wenn damit langlebige Investitionen finanziert werden. Zum Beispiel Verkehrswege, die auch in kommenden Jahrzehnten genutzt werden können. Die Schulden dienen dann dazu, die Kosten der Investition über die Jahrzehnte zu verteilen. Doch auch dies ist nur graue Theorie: Schulden werden hierzulande nicht nur für Investitionen gemacht, sondern auch für konsumtive Zwecke. Das Geld wird auf Kosten der nächsten Generation verfrühstückt, die dann dafür immer noch Zinsen zahlen darf. Gerade in Gesellschaften mit geringem Zukunftsbezug, in denen Alte und Kinderlose dominieren, ist die Neigung zum Schuldenmachen groß. Die künftige Generation sitzt auch in Bielefeld nicht mit am Tisch, wenn über Ausgaben entschieden wird.

Ohnehin misstrauen die Ökonomen dem Sparwillen der Politiker zutiefst. Wie schwer diesen das Sparen fällt, zeigt die Diskussion um die Erhöhung der Gewerbesteuer in Bielefeld. Dahinter stehen die Begehrlichkeiten der Politiker quer durch alle Parteien. Ausgeben macht halt mehr Spaß als Sparen. In jedem Politiker steckt ein Weihnachtsmann, der mit Wahlgeschenken die nötigen Stimmen für die Wiederwahl zusammenbekommen möchte.

Ökonomen kennen daher auch nur ein Mittel, die Ausgabenwut der Politik zu begrenzen: Zwang. Nur durch externe Vorgaben lassen sich die Ausgaben bremsen. Doch langsam wächst der Sparwille. Dies hängt auch mit der Erkenntnis zusammen, dass steigende Schulden den Handlungsspielraum der Stadt immer mehr einschränken. Wie hoch die städtische Gesamtverschuldung samt der kommunalen Eigenbetriebe (Bühnen, Umweltbetrieb, Immobilienservicebetrieb) ist, macht eine Zahl deutlich: Sie entspricht in etwa dem Gesamtvolumen des laufenden Etats. Das gesamte Vermögen der Stadt beläuft sich auf etwa 2,5 Milliarden Euro. Das habe 2009 die Bilanz für das neue städtische Buchhaltungssystem gezeigt, erklärte Joachim Berens, Geschäftsführer der Bielefelder Beteiligungsgesellschaft, im Gespräch mit Journalisten.

Natürlich sind Bildung und Forschung die Felder, in die Bielefeld investieren muss. Und es stimmt auch, dass wir viel Geld für die Bedürfnisse von heute ausgeben und zu wenig für die von morgen.  Aber die kommunalen Politiker zieht daraus einen Schluss, der das politische Grundübel der Politik in Bielefeld offen legt: Anstatt der einen Generation möglichst fair zu nehmen, was die nächste dringender braucht, soll es Investitionen in die Zukunft lieber auf Pump geben, wenn das Geld nicht für alles und alle reicht.

So lässt sich der Wohlstand in Bielefeld nicht retten. Im Gegenteil: So wird er mit einer kaum mehr zu tragenden Hypothek belastet, denn Schulden sind Schulden. Sie sind nachweislich die Steuern von morgen und erdrückende Last für die Jungen, die kaum mitreden können, wenn sie gemacht werden. Es ist ein bislang unbekannter Gipfel des Widersinns, Schulden zu rechtfertigen mit vermeintlich vorsorgenden Investitionen in die Zukunft derer, die jene Schulden später abbezahlen müssen - und daran wahrscheinlich ersticken werden. Klar ist: der Zeithorizont auch in der Bielefelder Lokalpolitik scheint auf die Gegenwart beschränkt, er bemisst sich nach technischen Innovationszyklen von Wochen oder Monaten und umfasst selbst in der Politik, wo es doch angeblich um die Zukunft geht, nicht mehr als eine Legislaturperiode von vier oder fünf Jahren.
Wer heute von einem Generationenprojekt redet, denkt an Sonderrechte für sich und seine Freunde. Weil er den Sinn für Kontinuität verloren hat, halst er den nächsten Generationen Versorgungslasten und öffentliche Schulden in einer Höhe auf, die er, wären sie ihm selbst zugemutet worden, voller Empörung von sich gewiesen hätte. Der umverteilende Sozialstaat kann die Gesetze der intergenerativen Gerechtigkeit eine ganze Zeit lang ignorieren, aber nicht dauerhaft außer Kraft setzen. Der Generationenbegriff wird sich in seiner ursprünglichen Bedeutung, die etwas mit generieren zu tun hat, wieder bemerkbar machen.

Dann werden sich die Jüngeren daran erinnern, wie die Älteren mit ihnen umgegangen sind, und es genauso machen. Natürlich werden sie den Generationenkonflikt nicht mehr nach dem Muster der griechischen Mythologie austragen, wo Zeus seinen Vater mit der Sichel entmannte und sich auf diese Weise selbst zum Herrscher machte. Alles wird nach den bekannten wohlfahrtsstaatlichen Regeln ablaufen, gesetzlich also, kühl und mitleidlos. Den Beitragserhöhungen, wie sie jahrzehntelang üblich waren, werden ebensolche Leistungskürzungen folgen, der Wohlfahrtsstaat wird für immer mehr Geld immer weniger bieten – und es könnte zu einer Re-Lokalisierung der Politik kommen. Denn dass Bielefeld pleite ist, hat auch etwas mit dem Bund zu tun. Dort wurden sozialpolitische Gaben erdacht, die symphatisch klingen, aber von den Kommunen vor Ort finanziert werden müssen – und die unter dieser Last zerbrechen.

Von Resignation darf in Bielefeld dennoch keine Rede sein. Denn das Mindeste hat auch eine andere Seite. Eine, die Ansprüche an die Lokalpolitik und deren aktuelle Akteure stellt. Politik soll Spielraum nutzen, den sie trotz allem hat, um den Rahmen zu schaffen, in dem diese Generationen ihre Aufgaben bewältigen können. Geld in Bildung, in Kinderbetreuung und ja, auch in Hochschulen investieren. Politik soll also nicht mehr vom Abbau der Schulden reden. Sie soll Perspektiven aufzeigen, wie sie mit dem Ergebnis dieses jahrzehntelangen Exzesses umgeht. Das entbindet nicht vom Sparen, aber zwingt zum Umdenken. Sozial ist, was kommenden Generationen in dieser Stadt ermöglicht, mit der finanziellen Lage umzugehen. Ihr, die Politiker, solltet  ausreichend und qualitativ hochwertige Kitaplätze zusichern, damit wir Bürger arbeiten gehen können, die Renten finanzieren. Um jedoch wertschöpfende Arbeitsplätze überhaupt halten zu können, braucht wir Wissenschaft und Innovation, sonst entstehen diese Arbeitsplätze in Rumänien oder in Vietnam, aber nicht mehr in Bielefeld. Das ist Aufgabe der Politik hier vor Ort. Das ist das Verlangen nach einer neuen Ehrlichkeit, nach einer anderen Form der Gerechtigkeit. Und nach einer neuen Leidenschaft. Angemahnt werden diese Investitionen schon lang, nur bleibt alles halbherzig. Zu klein ist die junge Generation als Wählergruppe und zu wenig erkennt diese Generation, dass ihre Zukunft bereits halb verzockt wurde.

mb

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