Hätte
das Bielefelder Rathaus so ähnlich wie der Steuerzahlerverband in
Wiesbaden eine Schuldenuhr, so hätte man im Januar diesen Jahres
einen historischen Moment erleben können: Der Schuldenstand
der Ostwestfalenmetropole überschritt erstmals die Milliardengrenze.
Im Rathaus regt sich darüber aber kaum jemand auf: Nach Angaben von
Oberbürgermeister Pit Clausen rechnet man bereits seit längerem mit
einem Schuldenanstieg auf 1,25 Milliarden im Jahr 2015. Seit einigen
Generationen werden in Bielefeld die Schulden vererbt - immer in der
Hoffnung, die nächsten werden es zahlen. Das Problem ist nur: Zahlen
sind ins Unendliche belastbar, die Menschen dieser Stadt nicht.
Was
die Stadt zusammenhält, ist auch ein Konsens zwischen Jung und Alt.
Ist Solidarität. Dazu gehört vor allem Ehrlichkeit. Diese Schulden
wird keiner mehr abzahlen können. Doch es ist nicht allein die
Schuldenlast, die kommenden Generationen zu schaffen macht. Es ist
die Moral der Geschichte. Die wiegt schwer, faktisch und emotional.
Faktisch wird der Gestaltungsspielraum immer enger. Geld wird mehr
und mehr für Zinsen, Schuldentilgung, Pensionen und Renten
ausgegeben werden müssen – die muss zum Glück nicht immer die
Stadt zahlen, sondern das Land NRW. Nur das Land ist genauso pleite
wie Bielefeld.
Das
alles kann man beklagen. Doch, und vielleicht ist das ein Wendepunkt
in der Schulden-Erbfolge, die Generation 30 plus-minus x hat sich
damit auf eine gewisse Art abgefunden. Ja, pure Vernunft darf niemals
siegen, haben Tocotronic, eine Band dieser Altersgruppe, einmal
gesungen. Und das tut sie auch nicht. Aber die Erwartung an die
Politik, egal ob in Bielefeld, Düsseldorf oder Berlin, ist eine
andere. Bisher mag man sich den Kopf zerbrechen über schlaglochfreie
Straßen, eine ausreichende Versorgung mit Kultur, ein
funktionierendes Gesundheitsnetz vor der Haustür oder eine
ordentliche Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit. Die Adjektive
aber ändern sich. Es geht nicht mehr um das Sichere, das
Ausreichende. Es geht nur noch um das Mindestmaß, in jedem Sinne. Es
geht um eine Mindestsicherung. Das ist nicht schön. Auch die jüngere
Generation würde sich über ein "ausreichend" freuen. Aber
sie kennt es nicht anders, weder von der Politik noch vom
Berufseinstieg.
Zum
Sparen haben schon viele Politiker aufgerufen, gefruchtet haben die
Appelle bisher kaum. In der Ökonomie gilt Sparen auch nicht als
Selbstzweck. Schuldenmachen ist durchaus erlaubt: Einige
Finanzpolitiker empfehlen in Zeiten der Rezession expansive Ausgaben,
auch auf Pump. Läuft die Konjunktur rund, und die Steuereinnahmen
sprudeln, sollen die Ausgaben dann aber wieder gesenkt und die
Schulden getilgt werden. In der Praxis hat die Politik – egal ob in
Bielefeld, im NRW-Länderetat oder auf Bundesebene - freilich
zusätzliche Steuereinnahmen stets zur Ausgabensteigerung und nicht
zur Schuldentilgung genutzt.
Finanzwissenschaftler
haben nichts gegen Kredite, wenn damit langlebige Investitionen
finanziert werden. Zum Beispiel Verkehrswege, die auch in kommenden
Jahrzehnten genutzt werden können. Die Schulden dienen dann dazu,
die Kosten der Investition über die Jahrzehnte zu verteilen. Doch
auch dies ist nur graue Theorie: Schulden werden hierzulande nicht
nur für Investitionen gemacht, sondern auch für konsumtive Zwecke.
Das Geld wird auf Kosten der nächsten Generation verfrühstückt,
die dann dafür immer noch Zinsen zahlen darf. Gerade in
Gesellschaften mit geringem Zukunftsbezug, in denen Alte und
Kinderlose dominieren, ist die Neigung zum Schuldenmachen groß. Die
künftige Generation sitzt auch in Bielefeld nicht mit am Tisch, wenn
über Ausgaben entschieden wird.
Ohnehin
misstrauen die Ökonomen dem Sparwillen der Politiker zutiefst. Wie
schwer diesen das Sparen fällt, zeigt die Diskussion um die Erhöhung
der Gewerbesteuer in Bielefeld. Dahinter stehen die Begehrlichkeiten
der Politiker quer durch alle Parteien. Ausgeben macht halt mehr Spaß
als Sparen. In jedem Politiker steckt ein Weihnachtsmann, der mit
Wahlgeschenken die nötigen Stimmen für die Wiederwahl
zusammenbekommen möchte.
Ökonomen
kennen daher auch nur ein Mittel, die Ausgabenwut der Politik zu
begrenzen: Zwang. Nur durch externe Vorgaben lassen sich die Ausgaben
bremsen. Doch langsam wächst der Sparwille. Dies hängt auch mit der
Erkenntnis zusammen, dass steigende Schulden den Handlungsspielraum
der Stadt immer mehr einschränken. Wie hoch die städtische
Gesamtverschuldung samt der kommunalen Eigenbetriebe (Bühnen,
Umweltbetrieb, Immobilienservicebetrieb) ist, macht eine Zahl
deutlich: Sie entspricht in etwa dem Gesamtvolumen des laufenden
Etats. Das gesamte Vermögen der Stadt beläuft sich auf etwa 2,5
Milliarden Euro. Das habe 2009 die Bilanz für das neue städtische
Buchhaltungssystem gezeigt, erklärte Joachim Berens, Geschäftsführer
der Bielefelder Beteiligungsgesellschaft, im Gespräch mit
Journalisten.
Natürlich
sind Bildung und Forschung die Felder, in die Bielefeld investieren
muss. Und es stimmt auch, dass wir viel Geld für die Bedürfnisse
von heute ausgeben und zu wenig für die von morgen. Aber die
kommunalen Politiker zieht daraus einen Schluss, der das politische
Grundübel der Politik in Bielefeld offen legt: Anstatt der einen
Generation möglichst fair zu nehmen, was die nächste dringender
braucht, soll es Investitionen in die Zukunft lieber auf Pump geben,
wenn das Geld nicht für alles und alle reicht.
So
lässt sich der Wohlstand in Bielefeld nicht retten. Im Gegenteil: So
wird er mit einer kaum mehr zu tragenden Hypothek belastet, denn
Schulden sind Schulden. Sie sind nachweislich die Steuern von morgen
und erdrückende Last für die Jungen, die kaum mitreden können,
wenn sie gemacht werden. Es ist ein bislang unbekannter Gipfel des
Widersinns, Schulden zu rechtfertigen mit vermeintlich vorsorgenden
Investitionen in die Zukunft derer, die jene Schulden später
abbezahlen müssen - und daran wahrscheinlich ersticken werden. Klar
ist: der Zeithorizont auch in der Bielefelder Lokalpolitik scheint
auf die Gegenwart beschränkt, er bemisst sich nach technischen
Innovationszyklen von Wochen oder Monaten und umfasst selbst in der
Politik, wo es doch angeblich um die Zukunft geht, nicht mehr als
eine Legislaturperiode von vier oder fünf Jahren.
Wer
heute von einem Generationenprojekt redet, denkt an Sonderrechte für
sich und seine Freunde. Weil er den Sinn für Kontinuität verloren
hat, halst er den nächsten Generationen Versorgungslasten und
öffentliche Schulden in einer Höhe auf, die er, wären sie ihm
selbst zugemutet worden, voller Empörung von sich gewiesen hätte.
Der umverteilende Sozialstaat kann die Gesetze der intergenerativen
Gerechtigkeit eine ganze Zeit lang ignorieren, aber nicht dauerhaft
außer Kraft setzen. Der Generationenbegriff wird sich in seiner
ursprünglichen Bedeutung, die etwas mit generieren zu tun hat,
wieder bemerkbar machen.
Dann
werden sich die Jüngeren daran erinnern, wie die Älteren mit ihnen
umgegangen sind, und es genauso machen. Natürlich werden sie den
Generationenkonflikt nicht mehr nach dem Muster der griechischen
Mythologie austragen, wo Zeus seinen Vater mit der Sichel entmannte
und sich auf diese Weise selbst zum Herrscher machte. Alles wird nach
den bekannten wohlfahrtsstaatlichen Regeln ablaufen, gesetzlich also,
kühl und mitleidlos. Den Beitragserhöhungen, wie sie jahrzehntelang
üblich waren, werden ebensolche Leistungskürzungen folgen, der
Wohlfahrtsstaat wird für immer mehr Geld immer weniger bieten –
und es könnte zu einer Re-Lokalisierung der Politik kommen. Denn
dass Bielefeld pleite ist, hat auch etwas mit dem Bund zu tun. Dort
wurden sozialpolitische Gaben erdacht, die symphatisch klingen, aber
von den Kommunen vor Ort finanziert werden müssen – und die unter
dieser Last zerbrechen.
Von
Resignation darf in Bielefeld dennoch keine Rede sein. Denn das
Mindeste hat auch eine andere Seite. Eine, die Ansprüche an die
Lokalpolitik und deren aktuelle Akteure stellt. Politik soll
Spielraum nutzen, den sie trotz allem hat, um den Rahmen zu schaffen,
in dem diese Generationen ihre Aufgaben bewältigen können. Geld in
Bildung, in Kinderbetreuung und ja, auch in Hochschulen investieren.
Politik soll also nicht mehr vom Abbau der Schulden reden. Sie soll
Perspektiven aufzeigen, wie sie mit dem Ergebnis dieses
jahrzehntelangen Exzesses umgeht. Das entbindet nicht vom Sparen,
aber zwingt zum Umdenken. Sozial ist, was kommenden Generationen in
dieser Stadt ermöglicht, mit der finanziellen Lage umzugehen. Ihr,
die Politiker, solltet ausreichend und qualitativ hochwertige
Kitaplätze zusichern, damit wir Bürger arbeiten gehen können, die
Renten finanzieren. Um jedoch wertschöpfende Arbeitsplätze
überhaupt halten zu können, braucht wir Wissenschaft und
Innovation, sonst entstehen diese Arbeitsplätze in Rumänien oder in
Vietnam, aber nicht mehr in Bielefeld. Das ist Aufgabe der Politik
hier vor Ort. Das ist das Verlangen nach einer neuen Ehrlichkeit,
nach einer anderen Form der Gerechtigkeit. Und nach einer neuen
Leidenschaft. Angemahnt werden diese Investitionen schon lang, nur
bleibt alles halbherzig. Zu klein ist die junge Generation als
Wählergruppe und zu wenig erkennt diese Generation, dass ihre
Zukunft bereits halb verzockt wurde.
mb
mb
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